Donnerstag, 31. Dezember 2015

Elfriede Jelinek - Macht nichts

Die Jelinek hat auf der einen Seite reichlich psychischen Ballast (ein augenöffnendes und schmerzhaftes Interview), woraus Menschenscheue und schwer bezähmbare Wut entsteht. Diese ist Fluch und Segnung zugleich, da sie diese Wut in erbarmungsloser Weise in die Welt herausschreibt. Sie schreit sie nicht, denn dies ist keine Wut der Feurigkeit, sondern eher eine der Eiseskälte. Und wie das bei extremen Emotionen oft ist, so lassen diese keinen Blick zur Seite zu.

Link
Zum Inhalt des äußerst schmalen Büchlein "Macht nichts" ist folgendes zu sagen: Es sind drei kurze Geschichten enthalten. In deren erster eine Burgschauspielerin nach ihrem Tode noch einmal und immer wieder gefeiert wird, obwohl sie tiefe Verwicklungen in den Nationalsozialismus hatte und nie bereut hat. Die Menschen, welche die Schauspielerin bejubeln, wissen dies, doch es kümmert sie nicht. In der zweiten Geschichte wird in einem Dialog zwischen Schneewittchen und dem Jäger über das Unmöglichsein von Wahrheit und Schönheit gesprochen, wenn diese entkoppelt von Realismus, Intelligenz und Berechnung sind. Was wiederum einen Bogen zur ersten Geschichte baut. Das Verkehren von Opfer und Täterstatus nach historischen Umwürfen ist das Thema der dritten Geschichte "Der Wanderer", in der der geisteskranke Vater der Autorin nur "noch wandert, nichts als wandert". Und auch hier kann man natürlich den Bezug zum Nationalsozialismus herstellen.

Es geht also im weitesten Sinne darum, dass der Tod nicht immer die letzte Instanz ist, das Ende ist. Während in der ersten Geschichte der Tod die Schauspielerin nicht in Vergessenheit geraten lässt, ist für Schneewittchen der durch den Jäger fabrizierte Tod das Ende. Beim Vater der Autorin ist wohl der Tod eigentlich schon deutlich vor dem biologischen Ableben eingetreten. Der Tod ist auch nicht gerecht (das war er natürlich noch nie). Genauso sind Deutungen in Richtung der aus Sicht der Autorin muffigen, reaktionären Situation der Menschen in Österreich zulässig.

Link
Kurz zur Sprache: Diese ist eindimensional, atemlos, getrieben, keiner Syntax, keinem Takt folgend, mal schnell, mal genüßlich getragen und nicht immer leicht zu verstehen. Einen Rhythmus erzeugt dieses Lawinenhafte dennoch, aber einen, der schnell müde macht. Das Zynische bei der Jelinek ist nicht platt, ganz und gar nicht - aber genauso nicht feingeistig oder gar hintergründig. Es besitzt kalte Wut an der Grenze zum Hass vermischt mal mit Selbstgefälligkeit, mal mit Verzweiflung. Auffällig sind auch diese martyrienhaften Bilder, die sie immer wieder heraufbeschwört. Da werden Fleischstücken aus Menschen gerissen, Knochen ragen raus und Menschenmengen zerfetzen Figuren. 

Was ist nun das Poetische an den Geschichten, das Bedeutungsvolle? Die Sprache ist es aus obigen Gründen nicht, der Inhalt und die Komposition auch nicht. Diese drei Sachen sind quasi mittelmäßig oder zumindest nicht besonders herausstechend. Was ich toll finde, ist die Erbarmungslosigkeit, mit der Jelinek sich selbst offenbart und in die Öffentlichkeit, in den Gegenwind stellt und damit ihre Eigenständigkeit beweist. Wir haben es hier wirklich mit einer Dichterin zu tun, für die Kunst das Leben ist. Sie kann nicht anders. Sie ist kein bißchen epigonal, sondern steht komplett alleine da draußen. Solche Figuren gibt es nicht oft. Wenn man sie sieht, sollte man sie im Auge behalten.