Freitag, 28. Dezember 2012

Timur Vermes - Er ist wieder da

Adolf Hitler, Führer a.d., erwacht 2011 in Berlin und startet eine erfolgreiche Fernsehkarriere, in welcher er (in diesem Zeitalter der ungestraften Ironie) seine Hetze und Weltmachtsphantasien hemmungslos ausleben darf. Denn kein Mensch glaubt natürlich, dass dies der echte Adi ist.

Kostet in Dtl. 19,33 €! Echt! (Quelle)
Fast-Food-Buch (oder Fast-Read?) beschreibt meine Haltung zu diesem derzeitigen Bestseller höchst treffend. Die durchschnittliche Verschlingdauer wird im unteren Tagebereich liegen, oberflächliche Geschmacksnerven werden zielsicher aktiviert und die Sättigung durch das Konsumierte währt nur begrenzt.

Wir haben also positive Dinge (man liest gern, versteht schnell und ist amüsiert) und negative Dinge (nach Beendigung des Buches hat man nicht das Gefühl, etwas substanzhaltiges gelesen zu haben). Verblasst denn dieser Einwand nicht im Angesicht der genannten, für das Buch sprechenden Tatsachen? Für mich persönlich auf gar keinen Fall. Denn ein Gefühl des Betrogen-Worden-Seins stellt sich ein, wenn man merkt, dass dieses Werk eigentlich wenig Substanz besitzt, aber ohne Umschweife Gegenteiliges behauptet (z.B. auf der Rückseite).

Tucholsky sagte: "Satire darf alles". Ich sage, dass aber deswegen nicht alles, was Leute oder Begebenheiten der Lächerlichkeit preisgibt, Satire - genauer - gute Satire ist. In "Er ist wieder da" werden alle Klischees, welche auf das "moderne" Deutschland zutreffen, bedient (nicht, dass von diesen nicht einige der Wahrheit entsprechen). Unfähige Politiker, verweichlichtes und kulturloses Volk, hässliche Architektur, Wendehälse allerorten, unerzogene faule Kinder. Auch jegliches Führerklischee wird aufgefahren. Denn Hitler war ja genauso, wie die Switch-Parodie ihn darstellt. Kalt und hart in seinen Überzeugungen, bemüht (=arm) in der Sprache und zu aufgeblasen, zu merken, dass ihn keiner für den echten Führer hält, sondern für einen Schauspieler. Wie allerdings bei Switch schmunzelt bzw. lacht man dann doch einige Male. Auch und gerade bei rassistischen und geschmacklosen Passagen, bei denen gewissen Ich-habe-einen-politisch-korrekten-Stock-im-Arsch-Rezensenten (siehe Amazon) das Lachen im Halse stecken bleibt.

Im Führerbunker fotografiert? (Quelle)
Das, was weitere Substanz vorgaukeln soll - nämlich der Fakt, dass Hitler auch 2011 Karriere macht - ist hingegen konstruiert und baut auf die Kurzsichtigkeit des Lesers. Ja, ein guter Hitler kann in der hiesigen Comedy-Landschaft Erfolg haben. Ja, die Produktionsfirma, welche durch ihn Erfolg hat, wird sich auch dazu hinreissen lassen, "Sieg Heil" zu rufen. Und ja, Jugendliche werden den Youtube-Hitler "krass" finden und Arrivierte werden ihn als Emporkömmling bar jeder Erfahrung und Gefahr abtun. Christoph Maria Herbst (wie passend!) findet auf der Rückseite, dass "bei allem Lachen ein Rest Gänsehaut bleibt". Es bleibt also ein undefiniertes Gefühl, dass das alles lustig, aber irgendwie doch nicht lustig ist. Und diese Empfindung ist alles, was hier Substanz erzeugen soll. Das reicht mir persönlich einfach nicht.

Zu allem Überfluss windet sich der Autor reichlich eierlos um die Judenfrage. Sie wird angeschnitten, aber kaum weiter erörtert. Anscheinend war diese dann doch zu heiß. Dabei ist gerade jenes doch ein, wenn nicht das wichtigste Alleinstellungsmerkmal Hitler's. An diesem Punkt müsste sich doch die heutige Gesellschaft messen lassen, wenn man Vergleiche mit dem Deutschland der damaligen Zeit anstellt.

Zusammengefasst: "Er ist wieder da" ist ganz nett und manchmal treffend in seiner Beschreibung der Politlandschaft des heutigen Deutschlands, wenn auch sehr oberflächlich. Punkte dafür. Abzüge gibt es für den absolut nicht erfüllten Anspruch, ein ernsthaftes Thema wie Hitler satirisch und historisch vergleichend zu behandeln.    

Freitag, 14. Dezember 2012

Gabriel García Márquez - Chronik eines angekündigten Todes

García Márquez, Versuch Numero 2. Nach kläglichem Scheitern meinerseits an der undurchdringlichen Wand seiner trockenen neutralen Fabulierungskünste in "Hundert Jahre Einsamkeit" tut man das, was jeder tut, der sich in seiner Opponenten-Wahl gehörig vergriffen hat: Man nimmt sich einen bebrillten, kleinen Schwächling vor. Und, was soll ich sagen, ich hab's ihm gegeben.

Ein sehr passendes Cover. (Quelle)
Stilistisch ist "Chronik eines angekündigten Todes" aber nichtsdestotrotz ein García Márquez. In diesem Fall steht ja nun das Wort "Chronik" schon im Titel und als Chronist kam mir der Autor ja auch schon beim vorherigen Buch vor. Kaum mal erhascht man eine Gefühlsregung bei den Akteuren, welche - auch das typisch - in großer Anzahl vorhanden sind. Alles wird nacherzählt und weitergehende Reflexionen, sowohl der Akteure als auch des Autors, sucht man vergebens. Das, was das Buch meines Erachtens nach vor dem gedanklichen Scheiterhaufen rettet, ist, dass der erzählerische bzw. thematische Maßstab deutlich niedriger angesetzt ist als bei seinem Magnus Opum "Hundert Jahre Einsamkeit".

Es geht tatsächlich "nur" um den Tod eines jungen Mannes in einer Kleinstadt. Dieser hat sich der "Entehrung" einer jungen Frau vor ihrer Hochzeit schuldig gemacht. Bei Kenntnisnahme dieses Sachverhaltes liefert der betrogene Jungvermählte seine Angetraute beleidigt und geschockt wieder bei ihrer Familie ab. Die Mutter verprügelt das Mädchen und die Brüder schwören Rache am Entehrer. Die Einzelheiten der Tage vor und bis zum Tod werden nach und nach offenbar und es entsteht ein Bild einer Stadt, in der fast alle Bewohner wissen, was passieren wird, aber niemand etwas unternimmt. Auch ist nicht klar, ob nun der Entehrer wirklich der Schuldige ist oder ob das Mädchen jemanden schützen will.

Ich hab's geschafft, Sn. García Márquez! Ich hab ein Buch
von Ihnen erfolgreich durchgelesen. (Quelle)
Und aufgrund dieses griffigen Themas und der sehr erträglichen Auswälzung dessen ist "Chronik eines angekündigten Todes" ein Buch, welches man nicht genervt weglegen wird. Ehrlicherweise muss allerdings auch erwähnt werden, dass es aufgrund des bis kurz vorm Ende nicht sehr hohen Spannungsbogen nicht unbedingt jeden fesseln wird. Aber erstaunlicherweise gelingt es García Márquez mit seiner gefühlskalten Erzählweise trotzdem die bedrückende Atmosphäre zu erschaffen, die entsteht, wenn man einem Unglück offenen Auges zusieht und nichts machen kann, um selbiges zu verhindern. Fast ein wenig dem "Besuch der alten Dame" von Dürrenmatt ähnlich. Für die gedankliche Weiterbeschäftigung bleiben nach Abschluss des Buches einige Fragen offen (Lügt das Mädchen? Wer ist der Erzähler? Warum hat niemand eingegriffen?). Als Einstieg in die García Márquez'sche Erzählweise und -welt lohnt sich dieses Büchlein auf jeden Fall.  


Samstag, 1. Dezember 2012

Marlen Haushofer - Die Wand

Unbedingt mal klicken und reinlesen.
(Quelle)
Man stelle sich eine riesige, bis in den Himmel gehende Wand vor. Unzerstörbar, absolut transparent und mitten durch ein Alpental verlaufend. Weiterhin eine tüchtige Frau im mittleren Alter mit ihrem menschenliebenden Jagdhund. Die beiden übernachten in einer Hütte in den Alpen und sind morgens auf dem Weg ins Dorf im Tal. Auf einmal jault der vorgepreschte, mit Elan Haken schlagende Hund auf und rennt winselnd mit blutiger Schnauze zu seinem Frauchen zurück. Er ist natürlich direkt in die Wand gerannt. Die Frau, nach einem Moment ungläubiger Verwirrung und Angst ob dieses mysteriösen unüberwindbaren Dinges, betritt eine Anhöhe und sieht mit dem Fernglas ins Tal. Sie sieht einen Menschen. Doch dieser bewegt sich nicht mehr, er steht komplett stumm da. Eingefroren in der Bewegung, welche er in dem Moment durchführte, als anscheinend die Wand entstand.

  La Autorin Marlen Haushofer. (Quelle)                 
An diesem Punkt setzt die Erzählung an, geschrieben als Bericht nach etwa 2 Jahren (anhand von Tagebuch-Einträgen). Die Frau erzählt von ihrem Leben, gefangen und eingeschränkt auf das kleine Gebiet, in welchem sie sich frei bewegen kann. Dieses Leben wird  bestimmt von der notwendigen Arbeit zum Überleben und dem Austausch mit den Tieren, welche Zuflucht bei ihr suchen: der treue Jagdhund "Luchs", die Katze und die gefundene Kuh "Bella", welche mit ihrer Milch für die Erzählerin überlebenswichtig ist.

Kaum habe ich ein Buch so gerne gelesen und mich gleichzeitig gewundert, warum ich dieses eigentlich immer wieder in die Hand nehme. Es passiert ja kaum etwas, was der typischen Definition von "spannend" entspricht. Ist man am Anfang noch  interessiert, weil man wissen will, woher die Wand kommt und was mit der Erzählerin passiert - Kommt sie frei? Leben die anderen Menschen noch? - , so tritt dies mit zunehmender Dauer immer weiter in den Hintergrund. Also warum zur Hölle liest man es trotzdem? Es liegt zum einen an der relativ einfachen Sprache, welche ja auch zur Erzählerin passt (Tagebuch) und zum anderen an der Identifikation mit ihr. Außerdem lernt man die Tiere in ihren Eigenarten lieben und will einfach das Beste für diese kleine ungewöhnliche Familie.

Film gibt's jetzt auch. (Quelle)
Umso schockartiger kommen dann die Stellen im Buch, welche die Unglücke der Zukunft - vor allem der Tiere - vorausnehmen. Jedes Mal bricht einem das Herz ein Stück mehr, auch weil dies von der Erzählerin meist in neutraler, wenn nicht resignierter Form formuliert wird ("Seit ... tot ist, tue ich dies und das nicht mehr, weil es mich an ihn/sie erinnert."). Dies führt auch zu absoluter Unzufriedenheit meinerseits am Ende, welches einiges offen lässt und mit Ungerechtigkeit und Unglauben "glänzt".

Diese Unzufriedenheit ist aber nur möglich, weil "Die Wand" so intensiv geschrieben ist, dass man sich mit den Figuren identifiziert und ihnen nur gutes will. Und das ist ein Zeichen für ein fantastisches Buch.

Ein wenig ärgern tue ich mich aufgrund der unglaublich stumpfsinnigen Deutungen, welche ich bei Wikipedia lesen musste. Da wird von einem Buch gegen das "Patriarchat" geschrieben, von "radikaler Zivilisationskritik" und "Robinsonaden". Man muss sich echt wundern, warum alles zu Tode interpretiert werden muss. Reicht es nicht, dass hier jemand ein Buch geschrieben hat, welches eine Heldin (und tierische Helden) besitzt, welche man sympathisch findet und mit der/denen man mitfiebert?    

Dienstag, 27. November 2012

Christian Kracht - 1979

Hm, was war das jetzt? Das Buch lässt einen nach dem Zuklappen erstmal ratlos zurück. Die Intention des Herrn Kracht bleibt dem geneigten Ex-Leser verschlossen. Auch noch nach einigem Drübernachdenken und Wirkenlassen. Aber als offener Weltbürger, welcher (Teile der) moderne(n) Kunst gerade wegen ihres Die-Wahrheit-liegt-im-Auge-des-Betrachters-Credos schätzt, ist das erstmal nicht weiter schlimm. Die Frage ist also, welche Intention sehe ICH in diesem Werk? Gar nicht so einfach, dies auszudrücken. Fangen wir doch erstmal bei der Handlung an.

Ein Stein. Aha. Reduktion allerorten.
(Quelle)
Der Ich-Erzähler reist mit seinem Lebensgefährten Christopher 1979 am Vorabend der Islamischen Revolution nach Teheran. Dort nehmen die beiden noch ganz dandy-like alle bourgeoisen Späße und Vergnügungen wie Partys, Zerstörungswut, Drogen und drogeninduzierte Über-die-Welt-Gespräche mit. Christopher, dessen Status in der Beziehung (jetzt mal politisch unkorrekt ausgedrückt) der Mann ist, ist schon vorher krank und schwach. Außerdem verachtet er den Erzähler eigentlich nur noch. Dieser wiederum fügt sich in sein Schicksal. In seinem benebelten Nihilismus verletzt sich Christopher schwer während der Party. Er wird ins Krankenhaus gebracht und verstirbt dort. Der Erzähler rettet sich in seiner unterdrückten Trauer und den Wirren der beginnenden Revolution zu einer mysteriöse Bekanntschaft einer Party. Auch diese ist allerdings absolut von der Welt entrückt und erzählt dem Erzähler von einem Berg in China, um den er wandern müsse, um zur vollständigen Erleuchtung zu gelangen. Die Hauptfigur folgt wieder einmal diesem Rat und im zweiten Teil des Buches geht es um diese Unternehmung. Während dieser trifft er tibetische Mönche, welche das gleiche Vorhaben besitzen und fühlt sich in ihrer ego-losen Gemeinschaft wohler als je zuvor. Dann jedoch wird er von chinesischen Soldaten gefangen genommen und in ein Arbeitslager verfrachtet. Er wird schmerzhaft umerzogen. Aufgrund einer guter Prognose für ihn wird er zu leichteren Arbeiten auf ein Feld mitten in der chinesischen Wüste geschickt. Auch dort sind die Arbeiten allerdings unmenschlich hart. Der Erzähler aber arrangiert sich mit diesen Arbeiten und tut, was man ihm sagt. Das Ende deutet an, was man sich schon lange dachte: Er ist zufrieden mit dieser Situation.

Aufgrund dieser Zusammenfassung sollte klar sein, worin der rote Faden des Buches aus meiner Sicht besteht. Ja, es geht um die "Selbstaufgabe" und "Selbstauslöschung" (wie es auf dem Buchrücken steht). Aber ist das nicht zu kurz gegriffen? So, wie die Beziehung der beiden am Anfang beschrieben wird, hatte der Erzähler schon vorher viel Energie darauf verwandt, sein Ego klein zu halten. Die Auslöschung passierte nicht aufgrund der Erlebnisse im Buch, sondern ist ein Bestandteil der Persönlichkeit des Erzählers. Alles, was im Buch geschieht, ist im Prinzip eine hochdramatische (übertriebene?) Zuspitzung dieses Charakterzuges. Man kann das nun langweilig finden, denn das bedeutet, dass die Handlung eigentlich gar nicht wichtig bzw. austauschbar ist. Das ist absolut richtig. Doch dann kommen ja noch die Fähigkeiten des Autors ins Spiel.

     Why so serious? Ach stimmt, ist ja 'n seriöser Schrifsteller.    
(Quelle)
Kracht schreibt hauptsächlich äußerst karg in kurzen Sätzen und wenig Details. Wenn er diese einstreut, dann rein der Atmosphäre wegen. Und so sollte es auch sein. Sehr gelungen ist die chamäleonhafte Wandlung des Erzählstils des Erzählers. Redet er am Anfang noch ziemlich klischeebehaftet über seine Gefühle und seine Beobachtungen der Innenarchitektur der teuren Villa des Partygebers (er ist Raumausstatter und seine zur Schau gestellte Expertise nervt), so ändert sich der Stil im Mittelteil (am Berg) zu spirituell und am Ende (im Lager) zu absolut neutral und teilnahmslos. In jeder Lage vermag es Kracht, mit seiner Erzählweise eine dichte Atmosphäre zu erzeugen. Und das - wie gesagt - ohne Detailreiterei.

Abschließend sei noch anzumerken, dass der Knackpunkt für mich ist, dass dieses Werk sehr kurz ist und eigentlich nicht mehr als eine atmosphärische Übung darstellt. Die Frage ist: Besitzt es in seiner Reduktion auf die Beschreibung eines Charakterzuges Tiefgang? Denn viel mehr, aber auch nicht viel weniger, hat es ja nicht zu bieten.

Freitag, 23. November 2012

Jean-Paul Sartre - Die Kindheit eines Chefs


"Ich finde an ihm seine Sichtweise gut, dass Menschen selbst für sich verantwortlich sind und ihrem Leben eigenständig Sinn geben müssen." 


Der Mensch ist zum Lesen verurteilt.
(Quelle)
Seit mich jemand mit diesem Hinweis auf Jean-Paul Sartre brachte, wollte ich etwas von ihm lesen. Sartre bleibt allerdings ein Philosoph und sein 1000-seitiges Hauptwerk "Das Sein und das Nichts" wollte ich mir nun doch nicht antun. Also wurde nach kurzer Recherche "Die Kindheit eines Chefs" auf die rebuy-Liste gesetzt. Jetzt, deutlich später, war dieses Buch nun endlich verfügbar und damit meins.

Das gelesene Büchlein enthält fünf kurze Geschichten auf knapp unter 200 Seiten. Alle haben etwas mit seinem Credo "Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt" zu tun, was im Prinzip heißt, dass der Mensch sich von unbelebten Dingen wie einem Stein dadurch unterscheidet, dass er "handelt". Der Stein handelt nicht, er liegt stumm da. Der Mensch aber ist in seine Existenz geworfen - ungewollt - und hat immer eine Wahl. Er kann sich entscheiden, und zwar in jeder Situation. Und um seinem Leben wirklich einen Sinn zu geben, MUSS er das sogar. Er darf sich also nicht von den Dingen treiben lassen und sich Entscheidungen verweigern. Dann wäre er nichts anderes als ein "Ding", über das entschieden wird. Mir gefällt diese Sichtweise ungemein, weil sie zwar sehr trivial klingt, aber doch unglaublich optimistisch ist. Sie bedeutet, dass jeder den Sinn des Lebens finden kann und zwar auf seine eigene Weise. Und wenn es auf eine Weise nicht funktioniert, so ist ein anderer Ansatz auch in Ordnung. Dies hat den Anschein von Beliebigkeit, als ob dieser Maxime nach alles das Richtige ist. Doch gerade der Vorwurf des Sich-Treiben-Lassens trifft wohl auf alle Menschen zu, mal mehr und mal weniger.

Nie ohne Pfeife unterwegs: Die Pfeife von JPS (Quelle).
Die Geschichten erzählen von alltäglichen und einzigartigen Geschehnissen, z.B. vom Standhaftbleiben eines zur Erschießung verurteilten Widerstandskämpfers oder von einem Mann, welcher Menschen hasst und sich durch einen Mord zur Berühmtheit machen will, am Ende aber nicht konsequent genug ist, sich selbst zu erschießen. Die titelgebende Geschichte befasst sich mit der Sinnsuche eines jungen Menschens. Sein Weg zum Chef-Dasein ist familiär vorgezeichnet, aber er hat Schwierigkeiten, seinen Platz im Leben zu finden. Diese beruhen auf seinem Selbstbild, was im Endeffekt durch die Sicht der anderen auf ihn gebildet wird. Er sammelt vielfältige Erfahrungen und findet am Ende sein (scheinbares) Glück im fanatischen Antisemitismus.

Ein schönes Buch zur Verdeutlichung der Sartre'schen Philosophie. Auch als Schriftsteller - vor allem die letzten zwei Erzählungen sind klasse und atmosphärisch dicht verfasst - war dieser exzellent.

Donnerstag, 15. November 2012

Daniel Kehlmann - Der fernste Ort

Vorschnelle Urteile sind vorschnell ... Nee wirklich?

Jahaa! Fiel mir wieder auf, als ich "Der fernste Ort" ausgelesen hatte. Ein Gefühl von "Hm, das war's?" machte sich breit und ich ordnete diese Novelle gedanklich unter "meh" ein. Aber irgendwie war ich mit dem Ende nicht so ganz zufrieden und daher der Versuch, das Buch von hinten aufzuarbeiten. Und nach und nach wurde mir klar, welch' vielfältiges Deutungspotential das Buch besitzt. Ganz verwegene wären sicher versucht, die gesamte Handlung mit allen Akteuren und Aktionen symbolistisch zu deuten, d.h. in allen Details des Buches etwas anderes zu vermuten als das, was diese eigentlich zu sein scheinen. Nun ja, nicht übertreiben!

Guter Body für 'nen Versicherungsspacko.
(Quelle)
Ein ruhiger, recht mittelmäßiger Versicherungsangestellter (Julian) täuscht seinen Ertrinkungs-Tod vor, um ein neues Leben zu beginnen. So ganz durchdacht hat er das nicht und wo er hin will, weiß er auch nicht. Kehlmann führt uns durch Kindheit und Jugend des Hauptcharakters und zeigt, dass Julian schon immer nicht wusste, wie er in dieses Leben gehört. Das ziemlich biedere Leben bestehend aus gerade so geschafftem Abitur, verrissener Abschlussarbeit über einen unbekannten Philosophen und ungewollter Schwangerschaft mit anschließendem Kindstod der ihm öfters mal fremd vorkommenden Freundin führt ihn in seine Stelle als Versicherungsmathematiker. Auch dort findet er sich mehr schlecht als recht zurecht (ha!). Sein Entschluß, zu verschwinden ist sehr verständlich.

So weit, so normal. Was macht das Buch lesenswert? Klare Antwort: die surrealistische Atmosphäre. Ein kompletter Gegensatz zur langweiligen Alltagswelt. Über die Geschichte legt sich ein bleischwerer, trüber Nebel, welcher zu Bedrücktheit, zu Hoffnungslosigkeit und unterdrückter Verzweiflung führt. Das surrealistische daran sind die vielfach verwendeten falschen Spiegelbilder, die knarzenden Dielen, die spärlich beleuchteten Räume, die sich nach und nach aufbauenden Gesichter und die völlige Selbst-Entfremdung, welcher Julian oft ausgesetzt ist. Weiterhin wird das Motiv der Wiederholung eingesetzt. Personen tauchen aus dem Nichts in anderen Rollen und an unwahrscheinlichen Orten auf, sogar Handlungsstränge werden kaum verändert neu aufgesetzt. Das alles wird einem erst nach dem Lesen so wirklich klar. Ein gutes Zeichen eigentlich.

Ein wenig bieder sieht er ja schon aus.
Autobiographisch? (Quelle)
Doch diese verwendeten Stilmittel bergen eben auch Gefahren. So bleiben ziemlich viele lose Enden. Man hat ein wenig das Gefühl, als seien einige dieser Stilistiken zum Selbstzweck eingesetzt. Oder ist man zu faul, um diese vernünftig zu deuten? Apropos Faulheit: "Julian fühlte sich komisch. Irgendwas stimmte nicht." Ja, "irgendwas" ist oft der Grund für irgendwas. Das zieht sich durch das ganze Buch. Irgendwas ist immer faul. Auch das Syndrom der ausschweifenden Beschreibung von noch so banalen Details trübt ein wenig den guten Eindruck. Warum soll es mir etwas bringen, zu wissen, dass der Schrank im Raum aus Eichenholz ist und vor 50 Jahren geerbt wurde? Es sorgt nicht für Atmosphäre und ist einfach überflüssig.

Wie kommt man zu einer abschließenden Beurteilung des Buches? Abschließend wohl schon mal gar nicht, aber vorläufig reicht es, sich zu fragen, "Befriedigt mich das, was ich gelesen hab?" Was sagt also das dumpfe Bauchgefühl? Es sagt "Hm, irgendwie :-P schon, aber ein bißchen auch nicht". "Der fernste Ort" ist sicher nicht perfekt, aber hat meiner Ansicht nach eine Menge Potential und die Atmosphäre, gerade auch am Ende, macht unheimlich viel gut. Ach, würde der Kehlmann mal ein etwas längeres Buch schreiben... Stattdessen wurde er sogar noch kürzer.

Samstag, 10. November 2012

Alben-Reviews - Mini-Edition - Folge 4


So, genug Stoff für einen neuen Musikpost hat sich nun angesammelt. Es war ja auch ein vielversprechender Herbst, der mit echten Perlen aufwartete. Zumindest vom Namen und der Erwartungshaltung her. Leider muss konstatiert werden

- dass qualitätsmäßig sichere Bänke sich nun doch recht morsch anhören (Neurosis)
- dass großspurigen Schreihälsen die Shouts im Halse stecken bleiben und (Stone Sour)
- dass selbst vollständig rekonvaleszente Drogenopfer Musik machten, die nach totalem Rückfall klingen (John Frusciante)

Insgesamt überwiegt also leider die Enttäuschung. Logischerweise gibt es aber auch gutes zu vermelden. Damit soll selbstverständlich angefangen werden.

Neil Young - Psychedelic Pill (Quelle)
Neil Young liefert mit "Psychedelic Pill" Album Numero 8463 ab. Alles klingt wie immer und das ist auch genau richtig so. Wer sonst würde ein Album mit einem 27-minütigen Song einläuten? Und dann später noch zwei 15-20-Minüter hinterherschieben? Voll mit seinem melodiösen brüchigen Gesang und ohrenbetäubenden Feedback-Gitarren. Neil Young ... da weiß man, was man hat. (Meistens)

Deftones - Koi No Yokan (Quelle)
Auch das neue Album der Deftones "Koi No Yokan" liefert mehr vom selben. Doch kaum eine Band beherrscht das Yin und Yang der Spannungs- und Gefühlsbögen so gut wie die Deftones. Brachiale Rocknummern münden in hypnotische Midtemposongs, welche Platz machen für äußerst melancholische Balladen (natürlich versetzt mit den obligatorischen Gefühlsausbrüchen). Ganz einfach große Kunst, was uns die Kalifornier da vorsetzen.

Soundgarden - King Animal (Quelle)
"Das Beste erhoffen, das Schlimmste befürchten" war der Leitspruch bzgl. des neuen Soundgarden-Albums "King Animal". Nun, wie es sich für eine der ersten Indie-Bands (ja, das war früher Indie!) gehört, halten die sich nicht dran und machen ihr eigenes Ding. Will heißen, das Album ist nicht so ganz Fisch und nicht so ganz Fleisch. Eher so ein Mischmasch aus Pute (es gibt ein paar ganz originelle Songs, ein paar gute Rocker und die Produktion ist ausgezeichnet) und Tofu (es ist halt alles nicht so das "Wahre" bzw. man hat sich wohl insgeheim was noch besseres erwartet). Schmeckt schon ganz passabel, aber so ein Rindernackensteak ist dann doch eine ganz andere Liga. Trotzdem toll, mal wieder Chris Cornell's Stimme zu hören.

Placebo - B3 (Quelle)
Nicht unerwähnt soll auch noch "B3" von Placebo bleiben. Joar, kann man zum Großteil hören. Vermisse nur die tiefen Ultra-Hirsch-Röhr-Shouts von früher (vom ersten Sänger) und natürlich fehlen aber voll auch noch die geilen Triangel-Melodien. Ansonsten geht das schon klar.

So, nun zu den Enttäuschungen. Das ganze ein wenig ausführlicher.

Neurosis - Honor Found In Decay (Quelle)
Neurosis sind immer noch Großmeister des Atmosphäre- und Spannungsaufbaus und die drei megafetten Brüllstimmen der Sänger haben trotz vielfacher Beanspruchung nicht gelitten (und das, obwohl einer der drei Grundschullehrer ist... hm, vllt kann er auch deshalb so gut schreien). Aber auf "Honor Found In Decay"  fehlen meines Erachtens nach die neuen kreativen Ideen, die Parts, von denen man nie dachte, dass sie kommen und die Melodien, die einfach, aber wirkungsvoll sind. Ja, es gibt zwei, drei richtig gute Songs auf dem Album. Aber auch bei denen kann man meist vorhersagen, wann die lauten Gitarren einsetzen und wann der ruhige Break einsetzt. Hätte nie gedacht, dass ich so etwas mal über ein Neurosis-Album schreiben würde, damn.

Stone Sour - Hoise Of Gold & Bones Part I (Quelle)
Von Stone Sour bin ich echt ein wenig enttäuscht. Was haben die sich das Maul zerrissen, dass "House Of Gold And Bones" (Part I) (!) ein Mix aus "The Wall" von Pink Floyd und "Dirt" von Alice In Chains wird. Ein Konzeptalbum megalomanischen Ausmaßes. Die ersten veröffentlichten Tracks stimmten positiv. Gute Produktion und sehr sehr ordentliche Rocker, gesungen von einem stimmlich deutlich gereiften Corey Taylor. Dummerweise waren diese drei, vier Tracks die wirklich guten Songs. Gerade die "gefühlvollen" Lieder, welche auf einem Konzeptalbum zwangsläufig auftauchen müssen, sind dermaßen verkitscht und triefen vor Pathos, dass es echt nicht mehr lustig ist. Würg. Und das ist eben der Unterschied zu "The Wall". Dieses Album hatte gute Rocker UND gute Balladen.

John Frusciante - PBX Funicular Intaglio Zone (Quelle)
Zu John Frusciante ist kaum was zu sagen. Musikalisch ausgeflippt war er schon immer und das vorherige Album ist trotz Freak-Faktor eins der besseren der letzten Jahre. Aber was auf "PBX Funicular Intaglio Zone" zu hören ist, sprengt jeglichen Rahmen. Das klingt nach LSD-Trip mit XTC-Einwurf alle zwanzig Sekunden. Und währenddessen schlägt dir jemand mit nem Vorschlaghammer auf den Hinterkopf, bohrt dir ein Loch in den Rücken und rasiert dir mit einer Kettensäge die Beine ab. Jetzt hab ich doch was gesagt *augenroll*

Montag, 15. Oktober 2012

Salman Rushdie - Grimus

Keine satanischen Verse! Ich schwör!
(Quelle)

Who wants to live forever? Fragte ja schon Seine Majestät Freddy Mercury vor 30 Jahren. Dieses verlockende Angebot macht jedenfalls Grimus, ein anscheinend allmächtiger Mensch, bestimmten von ihm ausgewählten Menschen. Stimmen Sie zu, werden sie danach Teil einer Gemeinschaft von Unsterblichen auf einer von ihm geschaffenen Insel. Doch Grimus ist nicht der allmächtige und gutmütige Herrscher, der er scheint. Gleichzeitig begleiten wir die Hauptperson des Buches, den unsterblichen Indianer Flapping Eagle. Er kommt auf der Insel an, um seine verschwundene Schwester zu suchen und um Sinn in seinem vormals ziel- und aufregungslosen Leben zu finden. Er lernt den Effekt, den Grimus auf die Bürger der Insel hat, kennen und ist hin- und hergerissen zwischen dem scheinbar komfortablen Leben in der Gemeinschaft und seinen Zweifeln an Grimus.

Ein Buch voller Widersprüche. Schon allein der Fakt, dass es mir schwer fiel, den Inhalt des Buches irgendwie sinngerecht in wenige Sätze zu verpacken, zeigt, dass es ungemein viele Ideen beherbergt. Das heißt aber gleichzeitig nicht, dass "Grimus" ein schwer zu lesendes oder intellektuell aufgeblähtes Buch ist. Ganz im Gegenteil, die wenigen Stellen, in welchen philosophiert und wild assoziiert wird, kratzen eher an der Oberfläche. Dies ist im Prinzip für das gesamte Buch zu konstatieren. Zaghafte Ansätze von Scherzen, mal hier und da ein Satz, welcher schockierend sein soll... "Grimus" ist ein light-weight-Fantasy-Buch. Leicht und locker zu lesen, mit einer sympathischen Hauptfigur, interessanten Verwebungen von östlichen und westlichen Mythologien und recht holzschnittartigen Charakteren.

Aber etwas satanisches hat er schon an sich! Augenbrauen!
(Quelle)
Empfehlen kann ich es trotzdem oder gerade deswegen. Zum Nachdenken regt es nicht gerade an, dafür sind zu viele ziellose Gedankenstränge geknüpft worden, aber zum Staunen brachte es mich dennoch. Dies aufgrund der erfrischenden Mixtur von alten und neuen Ideen, westlichen und östlichen Einflüssen und Oberflächlichkeit und (scheinbarer) Tiefe. Es ist übrigens das Erstlingswerk von Salman Rushdie und dafür ist es ganz nett. Das trifft es wohl am besten. Ganz nett.

Mittwoch, 12. September 2012

Michael Ende - Die Unendliche Geschichte

(Quelle)
Herrliches Buch.

Strotzt von fantastischen Ideen.

So angenehm zu lesen.

Es nimmt sich nie zu ernst, auch wenn es ernsthafte Themen behandelt.

Besitzt eine Menge liebenswürdiger Charaktere mit ausgefallenen aber genauso liebenswürdigen Namen fernab jeglicher Fantasy-Klischee-Namen.

Die Geschichte, welche erzählt wird, ist ab einem gewissen Punkt recht klassisch aufgebaut (Aufstieg, Fall und "Wiedergeburt").

Was aber zählt, ist, wie diese erzählt wird. Und das ist: geradlinig, nachvollziehbar, zur Identifikation anregend und vor allem ausgestattet mit den oben genannten fantastischen Ideen und Details.

Ende (Quelle).
Die Idee des Buchs der Unendlichen Geschichte, welches seine eigene Geschichte erzählt, ist einfach grandios. Und die Hinführung zu dieser Erkenntnis ist für mich der beste Teil des Buches. Das Ende hat auch nochmal einen einfach schönen Aha-Effekt, welcher dieses Buch perfekt abrundet.

Zusammengefasst: Geschichte zum Mitfiebern, emotional und intellektuell gleichermaßen anregend, aber nicht pathetisch oder aufgeblasen. Gleichzeitig von Kindern als auch von Erwachsenen zu lesen.

Kann dazu gar nicht mehr schreiben. Wird dem Buch sowieso nicht gerecht.




Samstag, 8. September 2012

Alben-Reviews - Mini-Edition - Folge 3


Und nun schon Folge 3 der Alben-Reviews. Heute eher auf der Retro-Schiene.


Led Zeppelin - I (Quelle)
Zuerst ein absoluter Klassiker. Led Zeppelin's Debütalbum "I" ist bald 45 Jahre alt (!), klingt aber frisch wie eh und je. Dies liegt vor allem auch an der superben Produktion. Gitarren, Bass und Drums sind kraftvoll und klar voneinander zu unterscheiden. Vor allem: Die Drums hauen rein! Nicht selbstverständlich damals. Meine Favoriten sind "Dazed & Confused" (heavy & donnernde Drums), "I Can't Quit You Babe" (astreiner Blues), "You Shook Me" (1A-Gesangsperformance) und "Communication Breakdown" (rockt wie Sau). Nichts, nie und nimmer, kommt aber an die emotionale Überzeugungskraft von "Babe I'm Gonna Leave You" heran. Dies ist der beste LZ-Song aller Zeiten. Vergeßt "Stairway To Heaven".

Neil Young - Chrome Dreams II
(Quelle)
Bleiben wir in den 70ern und halten gleichzeitig mal epochenunabhängig fest: Niemand mag "perfekte" Menschen. Das gilt auch und gerade für Neil Young, welchem die "unperfekte" Musik geradezu aus den Fingern fließt. Zusammen mit seiner hohen brüchigen Stimme und seiner Art, Gitarre zu spielen (unsauber, mit viel Feedback und ohne viel Technik, dafür mit umso mehr Brachialität im einen, Subtilität im anderen Augenblick) ist er einer der wenigen, die gut klingen, obwohl sie eigentlich scheiße klingen müssten. Eins seiner letzten Alben - "Chrome Dreams II" - fasst sein Repertoire sehr gut zusammen ("Beautiful Bluebird", "Ordinary People", "Shining Light"). Und warum klingt seine Stimme mit fast 70 noch wie damals, als er 25 war?

Pink Floyd - Wish You Were Here
(Quelle)
Zwei der schönsten Songs aller Zeiten besitzt "Wish You Were Here" von Pink Floyd. Zum einen "Shine On You Crazy Diamond", zum anderen "Wish You Were Here". Wer in den ersten 4 Minuten von SOYCD nicht in der Genialität des Gitarrensolos versinkt, muss wohl aus Stein sein. Und wer einmal den Text von "Wish You Were Here" gelesen, den astralen Gesang gehört und den gezupften akustischen Gitarrenklängen dieses Songs gelauscht hat, wird ihn nicht mehr vergessen. Dazwischen gibt es zwei Songs, welche auf ihre Weise auch überzeugen, aber aufgrund der eher gesellschaftskritischen Thematik nicht annähernd so tief ins Mark gehen wie die beiden oben genannten. Und das war's dann auch. Platten gingen ja nur knapp 40 Minuten. Mehr ist nicht. Muss aber auch nicht.

Radiohead - OK Computer (Quelle)
Knapp 20 Jahre später wurden Radiohead manchmal als "Pink Floyd der Gegenwart" bezeichnet. Typisch bescheuerter Musikkritiker-Vergleich. "OK Computer" von 1997 ist allerdings doch den wiederholten Hörvorgang wert, vor allem aufgrund seiner ersten Hälfte. Lässt man sich einmal auf die von vielen als deutlich zu weinerlich eingestufte Stimme von Thom Yorke ein, eröffnen sich so einige Songperlen. Diese sind das hochgrandiose "Subterranean Homesick Alien" und das ebenso meisterhafte "Karma Police". Auch "Paranoid Android" und "Exit Music" wissen zu gefallen. Genau wie "Lucky" und vor allem noch "The Tourist". Allerdings: Rocken können Radiohead irgendwie nicht.

Foo Fighters - The Colour And
The Shape (Quelle)
Im gleichen Jahr gab's "The Colour And The Shape" von den Foo Fighters. Mit deutlich zu vielen Songs. Aber wer "Everlong" auf dem Album hat, brauch sich darum nicht zu scheren. Die Mischung aus punkigem ("Enough Space"), balladigem ("February Stars") und rockigem ("Monkey Wrench") macht dieses Album zusammen mit seiner Unbekümmertheit (damals waren die FF noch keine Weltstars) zu einem meiner Lieblings-Alben dieser Band. Überhaupt: Man muss erstmal die Eier haben, ein Rock-Album mit einem Einschlafsong wie "Doll" einzuleiten. Außerdem hat Dave Grohl außerhalb der Metal-Shouter-Fraktion mal eine der besten Brüllstimmen aller Zeiten.

Donnerstag, 6. September 2012

Die Unendlichen Geschichten

Manchmal gibt es Bücher, die werden einem empfohlen. Sei es von Freunden, von Rezensenten oder vom eigenen Gefühl. Und wenn nun das eigene Gefühl zusammen mit Rezensenten dafür spricht, "Hundert Jahre Einsamkeit" von Gabriel García Márquez zu lesen, ist die Sachlage eigentlich klar.

Roman? Chronik! (Quelle)
Normalerweise sollte man sich natürlich von Floskeln wie "Weltliteratur" und "Klassiker" nicht blenden lassen, sowohl in die eine als auch in die andere Richtung. Aber hey! Das Cover sieht schön aus, der Name des Autoren geht einem wohlfeil von der Zunge, der Titel des Buches hat nichts mit einer Liebesschnulze zu tun und muss gerade deswegen genial sein. Hellhörig wird man, wenn man liest, dass es in diesem Buch um die Generationen überspannende Geschichte einer kolumbischen Familie geht, d.h. um Aufstieg und Fall. Kann schwerer Stoff sein, aber bei "Der Pate" hat es ja auch funktioniert. Garniere all das mit "Klassiker des magischen Realismus" und die Voraussetzungen für ein großartiges Lese-Erlebnis liegen einem zu Füßen.

Es ist da! Und es ist dick. Schwerer Stoff, ach ja genau. Die Leseposition wird eingenommen und die ersten Seiten gelesen. Hm, da passiert ja direkt auf den ersten Seiten eine Menge. Kaum ist man gedanklich im Urwald angekommen, werden die ersten Kinder geboren, passieren die ersten unerklärlichen Phänomene. Sehr gut. So mag ich meinen magischen Realismus.

Das Fuck-You von GGM an seine Leser.
(Quelle)
Hundert Seiten durch. Es sind schon eine Menge Kinder geboren worden. Manche sind schon wieder tot. Drei Generationen wuseln durch die Seiten. Alle heißen irgendwie gleich, weil diese Drecks-inzestuöse Sippe gerade einfältig genug ist, die Kinder "José" und "José Aureliano" und "Aureliano" und "José (der andere)" und "José (der junge)" zu nennen. Man ist ein wenig durcheinander. Und verwirrt. Warum gelingt es nicht, zu diesen Personen eine Beziehung aufzubauen? Liegt wohl daran, dass pro Seite etwa drei Monate Familiengeschichte abgehandelt werden. Ganz selten wird es detaillierter. Spannende Szenen wären im Überfluss vorhanden, aber verdammt, warum wird das alles so distanziert erzählt? Ist denn García Márquez im Nebenjob Chronist?

Zweihundert Seiten durch. Was begonnen wird, wird zu Ende gelesen. Es hat sich nicht viel verändert. Wie bin ich so weit gekommen? Sitzfleisch, die sporadischen magischer-Realismus-Szenen und Hoffnung. Hoffnung, dass erstmal die Vorgeschichte erzählt werden muss. Dann wird es spannend! Verdammt! Bitte!

Ende schreibt die "Unendliche
Geschichte". ROFLMAO! (Quelle)
Zweihundertunderste Seite! Fuck this shit! Tiefere Amazon-Recherche verhieß eh nichts gutes in Bezug auf meine Hoffnung.

Wie wohltuend ist da die echte "Unendliche Geschichte"! Eigentlich genau das Gegenteil. Zur Zeit (Hälfte gelesen) bin ich echt begeistert. Die Gründe dafür werden natürlich später dargelegt. Wenn dieses Buch sein Niveau auf voller Länge hält, bin ich echt geneigt zu sagen, dass die "Unendliche Geschichte" eins der besten Bücher aller Zeiten ist.

Aber da haben wir ja das Problem! Bücher sind halt Geschmackssache. Und 'ne Menge Leute haben ja "Unendliche Langeweile" äh "Hundert Jahre Einsamkeit" gelesen und für genial befunden. Es tut mir auch weh, dieses Buch nicht zu mögen. Denn eigentlich will ich das. Waren ja alle Voraussetzungen da. DAMMIT!

Montag, 20. August 2012

Alben-Reviews - Mini-Edition - Folge 2

Folge 2 der Alben-Reviews. Dieses Mal mit einem schönen Genre-Mix.


Baroness - Yellow & Green (Quelle)
Everybody's Darling in der Hard-Rock/Metal-Szene sind derzeit Baroness. "Yellow & Green" bezieht seinen Namen aus der Marotte der Band, jedes Album nach einer Farbe zu benennen. Und dieses Mal sprossen die Ideen wohl wie nie zuvor, ergo zwei Alben. Wie ist nun das Album? Naja, es ist gut, sehr gut sogar. Aber die "Zukunft des Metals" (laut Spiegel) sind sie damit noch nicht. Die Produktion ist ausgezeichnet und die instrumentelle & klangtechnische Vielfalt sucht auf jeden Fall ihresgleichen. Doch das Fleisch eines jeden Albums sind nun mal die Songs. Fast alle sind im leicht erträglichen 3-5-Minuten-Bereich und es gibt Glanzstücke wie "Take My Bones Away", "March To The Sea", "Eula" und "Back Where I Belong". Es gibt aber auch belanglose Songs, deren Namen mir logischerweise entfallen sind. Insgesamt punktet das Album jedoch mit Abwechslungsreichtum und (in der Mehrzahl) gut gemachten Songs.

Chemical Brothers - Don' Think
(Quelle)
Schon etwas länger auf dem Markt (Anfang 2012) ist "Don't Think" von den Chemical Brothers. Die haben ihre Live-Show der vergangenen Jahre auf einen Silberling gebannt und bieten so einen schönen Überblick über die drei letzten Alben (+ Hits). Alle Songs gehen wie üblich ineinander über und werden zusammen mit einer guten Anlage zu einer Klangwaffe, welche Erdbeben auslösen könnte. Ich mag "Don't Think" aber vor allem auch deswegen sehr gerne, weil mir das letzte Studioalbum der Chemikanten-Brüder mit seinen langen Klangcollagen ausgenommen gut gefallen hat. Diese kommen auch live kraftvoll. Natürlich sind bei der klanglichen Darbietungen keine großen Überraschungen zu erwarten und die visuellen Effekte sind auf CD naturgemäß sehr schwer zu transportieren. Aber allein der MG-ähnliche Soundeffekt auf "Don't Think / Out Of Control / Setting Sun" und die immer höher und schriller werdende Sirene bei "Believe" bringen die Megalomanie und Grandiosität eines CB-Live-Konzerts sehr gut rüber.

Bohren und der Club of Gore - Beileid (Quelle)
Im Kampf um den Preis für die Band mit dem bescheuertesten Namen führt nie ein Weg an "Bohren und der Club of Gore" vorbei. Diese haben letztes Jahr eine kleine EP namens "Beileid" veröffentlicht, welche aus drei Stücken besteht und von ihnen selbst als "Doom Jazz" klassifiziert wird. Man muss es eigentlich gehört haben, um sich einen Reim drauf zu machen. Fast immer instrumental, liefern Bohren ultralangsame Ambient-ähnliche Musik ab, die schon viele Leute an die Musikstücke in "Twin Peaks" erinnert hat. Da auch das kaum jemandem was sagen wird, bleibt eigentlich nur zu sagen, dass Bohren einzigartig wie kaum eine andere Band sind und einen derartigen Status in der Musikwelt haben, dass das erste Stück mit Gesang Mike Patton von Faith No More vorbehalten blieb.

Bloodhound Gang - Hooray For Boobies
(Quelle)
Ein ähnliches Niveau mit noch höherem Anspruch erreicht ja bekanntermaßen die Bloodhound Gang. 1999 erschien "Hooray For Boobies" mit der schrecklich nervenden Single "The Bad Touch". Entsprechend schnell vergessen war das Album dann auch. Aber eine Begebenheit bei "Rock Im Park" rief mir diese Platte wieder zurück ins Gedächtnis und ich traute mich, abermals reinzuhören. Es ist immer noch eine ganze Menge Schund zu hören. Nicht lyrisch, sondern musikalisch. Den Bloodhound-Gang-Fan, welcher die Band aufgrund ihrer literarisch wertvollen Ergüsse schätzt, will ich sehen. Aber nichtsdestotrotz sind drei, vier Perlen der Nu-Metal-Zeit zu finden, welche guter Laune ganz sicher nicht abträglich sind. Als da wären: "I Hope You Die", "Mope" (supergeil!) und "Yummy Down On This" (supergeil!). Bei mir ist noch "Along Comes Mary" auf dem Album. Vier! Reicht aber auch. Man muss ja nicht alles toll finden. Nur das tolle.

Ratatat - LP4 (Quelle)
Auch perfekt zum nicht ganz so schläfrigen Chillen ist "LP4" von Ratatat geeignet. Ratatat verbinden reichlich Elektro-Schnick-Schnack mit grotesk verzerrten Gitarrenlinien, Drums und verträumten Beats. Ich denke zumindest bei den Songs meist an Sommer, Sonne, grüne Wiesen und gute Laune. Insgesamt ist die Musik relativ lightweight, wie die Bodybuilder unter uns sagen. Aber gerade deshalb ist sie zum Ausspannen so gut geeignet. Und auch hier gilt wieder: Einen Eindruck gewinnt man nur, indem man einen Druck (harhar) auf die Maustaste betätigt. Und zwar auf diese Links im nächsten Satz. Ja, ich muß die Seite vollbekommen. Deswegen kommen die Links gleich. Die Songs, die ich verlinke sind folgende: "Neckbrace" und "Drugs".

Samstag, 11. August 2012

Der Hexer (Romane und PC-Spiele)

Eitelkeit: "Booaaar, wat 'ne coole Sau is' denn der Geralt?"

Verstand: "Wie bitte? Wer ist denn Geralt? Kennst du den aus deinem Proletentreff äh deiner Muckibude?"

Wo guckt Geralt wieder hin? Die alte Sau! (Quelle)
Eitelkeit: "Da sind nicht nur Proleten!"

Avalanche: "Lass stecken, du wirst gerade mal schön getrollt. - Der Geralt ist doch der monsterschlachtende, weißhaarige Mutant, der gerne mal das Leben genießt und auch als 'Der Hexer' bekannt ist. Aus der Romanreihe und den PC-Spielen."

Verstand: "Aha, Monster werden geschlachtet. Das nenne ich mal eine originelle Basis für Fantasy-Romane. Und Feen rettet er aus Türmen, nehme ich an."

Avalanche: "Kann auch passieren. Er hat's mit Elfen und Königen zu tun, verliebt sich in eine mächtige Zauberin und hat Zwerge und einen Barden als Freund..."

Verstand: "Laaaaaannnnnngggwwwwweeeeeiiiiiilllllliiiiiigggggg!"

Eitelkeit: "Fresse! Geralt is' mal supercool und das is' alles gar nicht so klischeebehaftet, wie du vielleicht meinst."

Avalanche: "Was mein Kumpel hier meint, ist wohl folgendes: Obwohl bei "Der Hexer" die typischen Elemente der Fantasy-Romane vorkommen, liest sich diese Welt doch sehr eigen."
Erstes Buch der Reihe. (Quelle)

Verstand: "Elaboriere!"

Avalanche: "Na zum Beispiel gibt es auf der einen Seite diese klassischen Rollen. Aber auf der anderen Seite ist Geralt das Produkt einer Genmutation - nicht sehr mittelalterlich. Diese hat übrigens nicht nur zu seinen geschärften Sinnen, sondern aufgrund der bekannten Fehleranfälligkeit von Biotechnik ;-) auch zum völligen Pigmentverlust in seinen Haaren geführt."

Eitelkeit: "Und er is' abgebrüht und - hab ich das schon mal gesagt? - supercool. Fluchen, Trinken, Rumhuren... Das ist der Hexer."

Verstand (mit gütigem Lächeln): "Aha, dann bist du aber einfach zufriedenzustellen."

Avalanche: "Jedem das seine, sagte schon ... wer war das noch? Hab ich jetz' vergessen und ist ja auch nicht so wichtig. Aber auch für den intellektuell anspruchsvollen Leser gibt es in der Romanreihe Stoff. Weltliche Probleme wie Rassismus, Ausbeutung und zweifelhafte (organisierte) Religion werden behandelt."

Verstand: "Was du nicht sagst."

Autor. Kein Kommentar. (Quelle)
Avalanche: "Amüsant auch, wie bekannte Märchenmotive wie Rapunzel und Rumpelstilzchen in die Geschichten integriert werden. 'Dann gab es mal so eine Mode, dass man Frauen in Türme eingesperrt hat und sich es dann die jugendlich ungestümen Prinzen zur Aufgabe gemacht haben diese zu retten.'"

Verstand: "Hmm. Mal sehen."

Avalanche: "Eigentlich ist die ganze Welt so makelbehaftet wie Geralt. Kaum gibt es mal Personen bzw. Wesen, die weiß oder schwarz sind. Sind alle in einer Vielzahl von Grautönen gehalten. Dreckige Grautöne, um es genau zu sagen."

Verstand: "Okay. Aber ich muss jetzt erstmal das Gesamtwerk von Adorno beenden. Dann vielleicht..."

Avalanche: "Trau dich. Manchmal kann man seine gerne gepflegten Vorurteile ja auch mal kurz beiseite schieben."

Verstand & Eitelkeit: "Echt?"

Avalanche: "Nee, war nur 'n Scherz. Wo denkt ihr hin?"

Dienstag, 31. Juli 2012

Antonio Tabucchi - Indisches Nachtstück

Wer sind wir? Wofür sind wir eigentlich hier, an diesem speziellen Ort? Und warum genau hier und nicht woanders? Reizen wir unser Potential aus? Verhalten wir uns, wie wir uns verhalten wollen? Oder eher so, wie es andere von uns erwarten? ...

Da Book from Tabucchi *lame* (Quelle)
Schwerwiegende Fragen, auf die dieses zierliche Büchlein von Antonio Tabucchi leider keine zufriedenstellenden Antworten liefert. Doch eine Erkenntnis wird dem parabelerprobten Leser relativ schnell gewahr: Das Leben ist voll von Mißverständnissen. Das, was einem jetzt sinnvoll und/oder begehrenswert erscheint, kann im nächstem Moment genau das sein, was besser so geblieben wäre, wie es war. Diese Einsicht wäre aber andererseits nie aufgetaucht, wäre man seiner ersten Eingebung nicht gefolgt. Oft sind die Mißverständnisse auch eher kleinerer Natur und entstandene Probleme nicht schwerwiegend. Man kann nun aus diesen Gedanken schließen, dass das Leben eben nicht voll von Mißverständnissen ist, sondern eher von Chancen und Gelegenheiten. Und weiter gedacht: Soll man sie alle wahrnehmen? Oder eine goldene Mitte finden, die es wahrscheinlich nur theoretisch gibt?

Und am Ende findet man sich so dann doch wieder bei kaum zu beantwortenden Fragen wieder. Wo man doch gedacht hat, eine Erkenntnis gewonnen zu haben, nachdem man über das Buch nachgedacht hat. So wie ich in diesem Moment *damn*.

Die Parabel des Buches ist folgende: Ein Mann reist nach Indien und sucht nach einem anderen Mann, den er von früher kennt. Er hat nur bruchstückhafte Informationen und reist dem Gesuchten mithilfe seiner immer wieder mühevoll erweiterten Informationen quer durch Indien hinterher. Natürlich begegnet er vielen Menschen und erlebt einiges (was episodenhaft beschrieben wird). Endlich findet er die Person auf der Terrasse eines Hotels. Er sieht den gesuchten Mann während des Essens. In diesem Augenblick wird ihm klar, dass er eigentlich keine Lust hat, ihn anzusprechen. Er merkt, dass er den gesuchten Mann - jetzt, wo er ihn gefunden hat - nicht mehr finden will. Warum? Das wird absichtlich im Raum stehen gelassen, genau wie das ursprüngliche Motiv für die Suche.
Intellektuelle-Denkerpose-B-Note: 6.0, Herr Tabucchi. (Quelle)

Indien, welches seit den 70er Jahren Anziehungspunkt von Aussteigern und Sich-selbst-Findern ist, bietet sich als Schauplatz der Geschichte natürlich gut an. Wieviele Menschen gab es, die einen spirituellen Selbstfinde-Trip dorthin gemacht haben? Und wieviele von denen haben sich wirklich selbst gefunden? Wieviele nicht? Wievielen davon ist klar, dass diese Reise doch ein Mißverständnis war?

"Indisches Nachtstück" ist so, wie eine Parabel sein sollte: nicht zu aufgeblasen (sprachlich), erfrischend kurz und frei von philosophischen On-the-fly-Kontemplationen/Assoziierungs-Orgien. Dafür ist ja dann der Geist des Lesers zuständig. Der Anspruch ist damit auch der einer Parabel und nicht der eines Romans. Spannung ist kaum vorhanden, Identifikation setzt eher nachträglich ein und die Handlung ist von Sprüngen durchsetzt. Um das Gegenteil davon zu bekommen, lese ich dann eben einen Roman und keine Parabel - damit das klar ist ;-)

Sonntag, 15. Juli 2012

Ministry



ist Al Jourgensen. (Quelle) Und Al Jourgensen:


Herion is noch viel härter als Heroin!
  • hat ein eigenes Meme --> 
  • arbeitet sich den Drogenbaum rückwärts: fängt mit Heroin, Speed, LSD und Kokain an und ist nun bei Marihuana, Bier und Zigaretten angelangt
  • war nicht einmal (HEADSHOT!), nicht zweimal (DOUBLE KILL), sondern dreimal tot (RRRRRAMPAGE)
  • trägt alle möglichen Kopfbedeckungen (Cowboy-Hut, Stahlhelm, Zylinder, Ritterhelm, Polizeimütze, Bandana) ... und er kann es!
  • hatte einen Gastauftritt bei A.I. (dem Film) und dachte, das stehe für "Anal Intruder"
  • legt Methadonköder aus, um Ratten zu verlangsamen, damit er sie mit der Schrotflinte abschießen kann
  • hat 750.000 $ Plattenvorschuss innerhalb eines halben Jahres für Drogen verprasst
  • hat drölftausend Side Projects, unter anderem die "Revolting Cocks" und die "1000 Homo DJs"
  • lässt sich von seiner Tochter überreden, gepierct zu werden --> 12 Piercings an einem Tag
  • nennt seine Touren ClitTourUS, MasterbaTOUR, CU La TOUR, DefibrillaTOUR


Und das beste: Er macht großartige Musik. Das Plattentriumvirat "The Land Of Rape And Honey", "The Mind Is A Terrible Thing To Taste" und "Psalm 69" ist so geil und originell, dass es weh tut, dass die Outputs danach meist nicht mehr wirklich an diesen Standard rankamen. Ist aber auch schwierig.

Die 80er waren ja musikalisch zum großen Teil eine katastrophale Periode. Doch es gibt Ausnahmen. Und da gehören Ministry eindeutig dazu. Sie schaffen es sogar, typische 80er-Industrial-Sounds cool klingen zu lassen. Um mal einen Eindruck zu liefern, ein paar YT-Vidz der drei oben genannten Platten. Wie immer gilt: LAUT hören! Gerade bei Industrial. Man muss dazu sagen, dass Einhörzeit auf jeden Fall notwendig ist. Außer bei Stigmata :-)


Ministry hat im Prinzip die gesamte Industrial-Rock/Metal-Szene der 90er möglich gemacht. Trent Reznor von Nine Inch Nails war z.B. Roadie bei Ministry, Marilyn Manson ist Protegé von Reznor, Jonathan Davis von Korn bezeichnet Ministry als Vorbild und Rammstein haben für "Du Hast" eigentlich das Riff bei "Just One Fix" geklaut ;-)

Der Einsatz von Samples in Verbindung mit harten Gitarren war etwas, was es vor Ministry nicht gab. "The Land Of Rape And Honey" von 1988 ist ein Hammer-Album, wenn man ein wenig auf Industrial und Metal steht. Auf der Platte gibt es Songs und Soundcollagen zu hören, die man sich super in einem verrauchten 80er-Underground-Schuppen á la "American Psycho" vorstellen kann.


Das Konzert von Ministry in Leipzig war jedenfalls eins der lautesten, was ich je gehört habe. Und es fühlte sich wie eine Zeitreise ins Jahr 1992 an. Überall Gruftis mit Armeehosen, Dreads, Bandanas und Springerstiefel. Damals Leute der Alternative-Szene, die dann bald nicht mehr alternativ war. Heute sind diese Menschen es wieder. Außerdem ein wenig älter und gesetzter (wobei meine blauen Flecken widersprechen). Genau wie Al Jourgensen. Nur ist der noch immer genauso verrückt wie damals


Freitag, 13. Juli 2012

Simon Beckett - Die Chemie des Todes

Die letzten 150 Seiten waren in etwa zwei Stunden durchgelesen. Die ersten 50 innerhalb einer halben etwa. Der Rest, also alles dazwischen, dauerte ein wenig länger. Was im Grunde schon eine gute Annäherung an das Lesevergnügen bei "Die Chemie des Todes" darstellt.

Is' das nich' die Diablo-Schrift?! (Quelle)
Der Titel und die astronomischen Verkaufszahlen (6 Auflagen allein im Erscheinungsjahr!) versprechen ja einiges. Und wie gesagt, die ersten Seiten dieses Krimis enttäuschen auch nicht. Nach der sehr eindringlichen Beschreibung des Fundes der ersten Leiche wird im folgenden geschickt eine unheimliche Atmosphäre erzeugt. Diese ergibt sich aus der Abgeschiedenheit des Settings (einsamer englischer Ort in der Pampa) und dem Gegensatz zwischen Hauptfigur (Dr. David Hunter) und den latent feindlichen bzw. skurrilen Dorfbewohnern.

Im Mittelteil werden mehr Opfer entdeckt und die Hilflosigkeit und Verzweiflung des Dorfes wird zum Hauptgegenstand der Seiten. Insgesamt geht es aber handlungstechnisch kaum vorwärts, außer der Bereitung der obligatorischen Liebesbeziehung und folgenden Entführung der Liebsten des Doktors.

Simon sez: Die! (Quelle)
"Die Chemie des Todes" ist also ein sehr klassischer Krimi. Falsche Fährten, hilflose Polizisten, Endkampf und immer wieder falsche Fährten. Vor allem am Ende, welches unheimlich an Fahrt aufnimmt. Man verschlingt förmlich jede Seite. Der Anfang des Schlussteils ist ein wenig enttäuschend, weil sehr vorhersehbar. Doch - BAM! - falsche Fährte! Und sogar noch auf der letzten Seite wird man auf so eine gelockt, was aus einem happy/bad ending ein bad/happy ending macht (Reihenfolge hat nix zu sagen :-P ). Geschmackssache.

Geschrieben ist das Buch sehr locker flockig. Man pflügt es durch, auch weil die Handlung meist im Mittelpunkt steht. Es gibt kaum Passagen, die den Spannungsaufbau künstlich verlängern. Von einem Triumph der hochklassigen Schreibkunst kann man also nicht sprechen, aber das wollte Beckett sicher auch gar nicht. Fakt ist, dass "Die Chemie des Todes" mitzieht und unheimlich spannend ist.


Donnerstag, 21. Juni 2012

Javier Marías - Mein Herz so weiß

Ja, der Titel klingt nach "Schnulze". Doch oha, er stammt aus "MacBeth". Ein Buch mit künstlerischem Anspruch also. Rette sich, wer kann!!
Cooler Ohrring! (Quelle)

Aber nein, so ist es nun auch wieder nicht. "Mein Herz so weiß" ist ein sehr schönes Buch mit zwei, drei Schwächen, die aber nicht besonders ins Gewicht fallen. Und als Student lernt man ja auch strukturiertes Denken *örks*, also gehe ich mal ganz systematisch ran.

Hier die Argumente, warum das Buch gut ist:

  • Der Einstieg in das Buch ist genial, genial, genial. "Mit der Tür ins Haus fallen" wird hier ganz neu definiert. Direkt der erste Satz gleicht einem Schlag in die Magengrube, denn in ihm erfahren wir sofort den Dreh- und Angelpunkt der Geschichte: Eine junge Frau geht während eines Familienessens seelenruhig ins Bad, entkleidet sich und schießt sich mit einer Pistole in die Brust. Die darauf folgende Beschreibung der Reaktionen der Familie ist höchst voyeuristisch und genau deswegen so bewegend.

  • Erzähler des Buchs ist Juan, Neffe des o.g. Mädchens, welcher damals noch nicht geboren war. Er beschreibt sein Leben als Dolmetscher und vor allem seine Schwierigkeiten und Gedanken als frisch gebackener Ehemann seiner Frau Luisa. Diesen Überlegungen hört man als Leser gerne zu (paradox!), denn sie spiegeln oft das wieder, was einem selbst höchstens unterbewusst klar ist oder was sonst unausgesprochen bleibt.

  • Einige Szenen, welche aus seinem Dolmetscher-Leben zum Besten gegeben werden, sind äußerst originell und lustig zu lesen. So übersetzt er beim Treffen zweier Regierungschefs die Worte der beiden mit Absicht falsch um ein (für ihn) interessanteres Gespräch ins Laufen zu bringen.

  • Juan's Vater Ranz ist der eigentliche Star des Buchs. Er ist der Mann des Mädchens, welches sich umgebracht hatte. Das ganze Buch über hat man das ungute Gefühl, dass irgendwas diesen lebensfrohen Mann kompromittieren wird. Langsam wird diese Spannung immer unerträglicher, bis sie am Ende mit einem großen Knall aufgelöst wird. Und wenn sie das dann wird, kann man es nicht glauben, obwohl es über das ganze Buch über angedeutet wird (aber eben sehr subtil).

  • Trotz spanischer Herkunft des Autors (welch Stigma!) ist der Schreibstil relativ flüssig und nicht zu blumig. Auch sehr lange Sätze bringen einen nicht aus dem Lesefluss, weil sie gleichzeitig künstlerisch und nachvollziehbar sind. Insgesamt liegt hier ein warmherziger Schreibstil vor, der aber nie zu kitschig wird, wenn es um Gefühle geht.


Was ist nicht so gelungen?

Chafjeh Marrrriasfsfs (Quelle)
  • Die Beschreibung von Luisa gefällt mir nicht. Ich bin mir bewusst, dass sie einem Archetypen entsprechen soll. Aber muss dieser Archetyp wirklich der der perfekten Frau sein? Sie ist hübsch, intelligent, lebenslustig, ordentlich und moralisch einwandfrei. Das Problem bei dieser Typisierung ist meiner Ansicht nach, dass die Figur niemals zum Leben erwachen kann, da sie so verdammt makellos und damit unglaubwürdig ist.

  • Die erste Hälfte des Buchs ist besser als die zweite. In dieser zweiten Hälfte wird viel Zeit auf die Beschreibung von anderen Beziehungen verwandt, wahrscheinlich, um das Spektrum von Beziehungstypen abzudecken (da das Buch ja auch einen philosophischen Anspruch hat). Zur Geschichte trägt das aber nicht sehr viel bei.

  • Feel-Good-Ende-Of-The-Summer (in Form des Epilogs). Lame! Deswegen hol ich das eigentlich angedachte Ende hier nach :


Lady MacBeth: 

"Meine Hände Sind blutig wie die deinen; doch ich schäme Mich, daß mein Herz so weiß ist."