Sonntag, 12. Februar 2017

Franz Werfel - Verdi

Manchmal hat die Sammelwut auch etwas Gutes. Einst im Rahmen der Erkundung der neuen Wohngegend in einem nicht eben gut sortierten Antiquariat für wenige Heller erstanden, verschwand das Buch "Verdi" schnell im Regal. Eigentlich sollte es was von Frank Wedekind sein (Lulu oder so), aber der Name Franz Werfel hatte solch' Ähnlichkeit, dass es mir gar nicht auffiel, dass ich da etwas ganz anderes in den Händen hielt. 

Franz Werfel (Quelle)
Die Pfennige, die den Eigentumsübergang von kapitalorientiertem Kleingeschäftsmann zu sammelorientiertem Kleinbürger besiegelten, waren - wie schon erwähnt - nicht dergleichen viele. Was eine Voraussetzung war, ja absolute Notwendigkeit darstellte, war doch das Thema "Verdi", damit verbunden "Oper" nicht unbedingt eines jener Gernbeackerten des Autors. Gleichermaßen führte das dazu, dass der Unwissende dies' Büchlein ins Archiv beförderte. 

Nun, Jahre später ist es also so gekommen, dass der Name "Werfel" für den Rezensierenden ganz unabhängig vom Vorhandensein eines Buches eine gewisse Bedeutung erlangt hat, wenn auch über Mahler'sche Umwege. Und die Erinnerung trog nicht: das Buch wurde bei einem Reassortieren des Bücherschrankes gefunden. Und nun MUSSTE es gelesen werden. Kann ja kein Zufall sein... (oder doch?)

Vorweg ist zu sagen, dass "Verdi" in den 20er Jahren eines der erfolgreichsten Bücher war, welches Werfel bis dahin veröffentlicht hatte. Es verursachte sogar - so die Behauptung - ein Wiedererinnern, ein Neukennenlernen des Komponisten Verdi - in Deutschland. Der Roman, für den Werfel jahrelang unter Aufbietung aller seiner Kräfte im Höllenloch Venedig wohnen und recherchieren musste, spielt ebenda im Jahre 1882.

Quelle
Um diese Zeit war Verdi 70 Jahre alt und genau die gleiche Anzahl Jahre zählte auch sein ewiger Konkurrent und der Welten Erneuerer der Musik im 19. Jahrhundert, der schon damals überall bewunderte Richard Wagner. Beide standen trotz Gleichaltrigkeit im Gegensatz zueinander: der Deutsche: Inbegriff der Romantik, des hohen Geistes in der Musik und die Selbstsicherheit in Person. Auf der anderen Seite Verdi: ehedem bewunderter Revolutionsdichter der Italiener in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ein Bauernjunge, der sich hochgearbeitet hat und kurzzeitig mit Erfolgen wie Nabucco (siehe Video), Trovatore und Aida sogar als neue Garde der Opernmusik bezeichnet wurde, weil er die südländische leichte melodieorientierte Tradition würdig fortgesetzt hatte. Doch dann kam Wagners Volltreffer in den Zeitgeist der Romantik und auf einmal galt er als abgestanden: Rhythmik, Stimmungen, philosophischer Geist waren nun wichtiger.


Mit 60 schrieb er seine letzte Oper, diese nicht einmal sehr erfolgreich. Und nun, 10 Jahre später, trifft er Wagner zufällig in Venedig. Sie stehen sich kurz gegenüber und Verdi glaubt genau diese deutsche Selbstsicherheit zu erkennen, die er nicht verstehen kann. Ein Augenblick, der in ihm das Verlangen auslöst, doch noch einmal zu komponieren. Trotz aller bösen Gedanken, er sei zu alt, er sei nicht mehr auf der Höhe.


Was zeichnet nun den Roman aus? Es ist vor allem die Sprache und die Komposition. Nahezu perfekt beides. Die wortgewaltige, aber trotzdem leichte und nie übertrieben emotionale oder pathetische Sprache zeigen für mich unzweifelhaft die vollendete Synthese aus deutscher Geradlinigkeit, Romantik und italienischem Humanismus und Sinn für's Detail. Werfel beherrscht die Beschreibung der venezianischen Welt am Ende des 19. Jahrhunderts meisterhaft und schafft es vom Bild des zauberhaften Wasserstädtchens wegzukommen, indem er die Venedig zugeschriebenen Eigenschaften in eine Sprache der Nacht, ja des Sternenlichts hüllt. Genau dies bereitet auch den Boden für die Handvoll von Charakteren, mit denen er im Buch sein Panorama der zeitlichen Stadtbeschreibungen durch sonderhafte, aber niemals unrealistische oder unsympathische Menschen erbaut. Nun eben ganz menschliche Personen sind das! Es geht vom 100-jährigen Gockel, der Anerkennung erwartend durch die Stadt spaziert über den alten heißblütigen Revolutionsfreund Verdis zum als einziger Verdi erkennenden Operneinlasser. Man sieht kalte Opernariensängerinnen, sich betont neumodisch benehmende junge Schnösel. Aber auch arme Familien, deren wenig Glück Verdi erweicht, denen er aber trotzdem nicht helfen kann.

Ohne jetzt weiteres zum Inhalt zu sagen, sei noch erwähnt, dass der Roman ein historischer ist und damit (und auch laut Aussage Werfels) sorgfältig recherchiert sein sollte. Natürlich liegen die Ausschmückung mit Details immer in der Kunstfertigkeit des Autoren. Wohin sie auch gehören. Es kommt einzig und allein darauf an, die "Wahrheit" auszusprechen. Dies erscheint mir gelungen, auch wenn es natürlich DIE Wahrheit nicht gibt. Ein literarisches Meisterwerk und immer wieder faszinierend, was für Schätze manchmal jahrelang in der Nähe darauf warten, geborgen zu werden.