Donnerstag, 31. Januar 2013

Alben-Reviews - Mini-Edition - Folge 5

Viel neues musikalisches Kulturgut hat sich seit dem letzten Review-Post angesammelt. Vieles davon hat elektronische Komponenten. Als da wären:

UNKLE - Psyence Fiction (Quelle)
Ein ziemlich cooles Alternative-Electro-Mischmasch-Album von UNKLE, welches auf den Namen "Psyence Fiction" hört. Das Gespann bestand zur Veröffentlichung (1998) aus dem Gründer James Lavelle und DJ Shadow. Deren erworbene Underground-Meriten verhalfen ihnen zu Gaststars wie Thom Yorke, Richard Ashcroft (The Verve), Mike D von den Beastie Boys und Jason Newsted von Metallica. Raus kommt eine schwer zu beschreibende Mischung aus Alternative Rock, Hip Hop und Samples, die von energiegeladen über melancholisch zu chillig geht. Vor allem die folgenden Tracks geben einen guten Einblick: "Rabbit In Your Headlights", "Bloodstain" und "Lonely Soul".

WhoMadeWho - Brighter (Quelle)
Eine absolute Neuentdeckung für mich sind WhoMadeWho. Ihr Album "Brighter" aus dem Jahr 2010 besticht durch coole basslastige (welcher allerdings schneidend scharf klingt) Produktion, drunter wummernden Disco-Beats (klingt geiler als es sich hier anhört), kreative Songarrangements mit QOTSA-ähnlichem Gesang. Na, klingt das nicht absurd? Yep. Und deswegen regelt es auch. Danke an Mark Lanegan (von QOTSA), dessen Cover vom ziemlich superben "Below The Cherry Moon" mich erst auf diese Dänen aufmerksam gemacht hat. Weiterhin anzuhören sind: "Running Man" und "The Sun". Jetzt wird mir erst klar, woher Lanegan die Inspiration für sein letztes Meisterwerk "Blues Funeral" gezogen hat.

Photek - Avalanche EP (Quelle)
Schon eine ganze Weile ein Favorit von mir ist Photek. Seine EP "Avalanche" (muahaha) ist im Downtempo-Bereich angesiedelt und hört sich am besten in voller Dunkelheit. Der verzerrte Bass und die stampfenden Beats erzeugen gerade in diesen niederen Temporegionen eine Soundwalze, welche durch Samples angereichert werden, die teils sehr futuristisch klingen. Eine sehr coole Kombination meiner Ansicht nach. Sein letztes Album "KU:PALM" folgt diesem Rezept nicht mehr, hat aber auch einiges zu bieten. So höre man folgendes, um sich selbst zu überzeugen: "Avalanche" (EP), "Slowburn" (EP) und "Sleepwalking" (Album).

Flying Lotus - Until The Quiet Comes
(Quelle)
Noch sehr viel psychedelischer und verdrogter kommt Flying Lotus her. Aber nicht im Cypress-Hill-Style. Dieses Video gibt einen guten Einblick in den Geisteszustand, in dem man sein muss, um an "Until The Quiet Comes" Gefallen zu finden. Ich muss zugeben, nicht alle Songs gefallen mir, aber allein für die guten lohnt es sich, dieses Album zu hören. 23 Uhr abends auf dem dunklen Rücksitz eines geschmeidig über die Autobahn gleitenden Autos wird der Psycho-Faktor natürlich nochmal vervielfacht. Ein wenig Einhörzeit war definitiv vonnöten, aber einmal auf dem Trip knallt es richtig. Tipps: "The Nightcaller", "me Yesterday//Corded" und "Getting There".

Modeselektor - Monkeytown (Quelle)
Zu guter Letzt gibt es noch die Bassmonster von Modeselektor. Ihr Album "Monkeytown" macht einfach Spaß, ist aber gleichzeitig hochgradig relaxt. Wer Modeselektor-Songs hört und einen guten Subwoofer sein Eigen nennen darf, sollte mit einem schnell folgenden Polizeieinsatz rechnen. "Wo brennt's denn, Herr Wachtmeister?" "Ihre Nachbarn beschweren sich wegen umgestürzten Möbeln und abbröselndem Putz." Ohne Scheiß: während alle anderen Instrumente auf Normallautstärke tönen, sorgt der Bass für wandernde Tische und durchgekneteten Muskelkater. Warum schreiben die aber auch so gute Songs? Warum sind die ersten 6 Songs allesamt anders und allesamt richtig richtig gut? Warum kann ich mich mit Gerappe anfreunden? Tipps: "Blue Clouds", "Shipwreck" und "German Clap".

Dienstag, 29. Januar 2013

Clemens Meyer - Die Nacht, Die Lichter

Skeptisch war ich. Im Voraus. Clemens Meyer, ein junger Schriftsteller mit gewissem Hype-Faktor. Von "Als wir träumten" schwärmten viele und "Die Nacht, Die Lichter" wurde unisono durchempfohlen. Zumindest von Studenten und Hipstern ;-) Grund genug also, vorsichtig zu sein.

Nacht und Lichter: Ständige
Wegbegleiter der Stories. (Quelle)
Nun, das Verdikt lautet: "Die Nacht, Die Lichter" ist tatsächlich ein sehr gutes Buch. Wobei sein Untertitel "Stories" schon zeigt, dass wir es nicht mit einem Roman, sondern mit einer Sammlung von Geschichten zu tun haben. Der Schreibstil, die Erzählweise und die Stories selber sind erstaunlich ausgewogen und moderat. Meyer verzichtet dankenswerterweise darauf, (künstlerische) "Grenzen auszuloten". Es werden sich bis auf kleine Ausnahmen keine "superkrassen"  "abgespaceten" Stories finden. Einfühlsam, aber nicht kitschig präsentieren die meisten Geschichten Menschen aus den sozial niederen Schichten.

Aber man hat es weiß Gott nicht mit einer Kollektion von Losergeschichten zu tun. Dies würde auch sehr schnell langweilig. Nein, das Milieu, die erzeugte Atmosphäre und die "Moral" unterscheidet sich von Geschichte zu Geschichte genug, um nie Langeweile aufkommen zu lassen. Die Trinker, die Ausländer, die Alten, die Knastis, die Künstler, die Schichtarbeiter ... alle haben sie ihre eigene Story. Nicht immer nehmen die Geschichten ein gutes Ende, aber manchmal schon. Oder was man dafür hält.

Teilweise deutet Meyer sein weiterführendes erzählerisches Talent an. Beispielsweise direkt in der ersten Geschichte, in welcher wilde Story- und Zeitsprünge vollzogen werden, welche anfangs sehr verwirren. Anders aber als beim Einsatz dieses Stilmittels zum Selbstzweck hat man hier eher das Gefühl, dass nochmaliges Lesen Klarheit bringt und tiefere Einsichten in die Geschichte ermöglicht.

Er sieht gefährlich normal aus, der Clemens.
(Quelle)
Auch die öfters mal vorkommenden Referenzen auf Leipzig (und auch Halle, Bitterfeld und Köthen *g*) werden gerne gelesen und verarbeitet. Dadurch nämlich wird die Identifikation leichter und die Bindung an die Geschichte enger. "Ach und hier meint er wohl die Eisenbahnstraße ... und hier ist er vielleicht im Westin oder auf dem Weisheitszahn" ... Nettes Gefühl.

Zusammengefasst ist "Die Nacht, Die Lichter" ein sehr gutes Werk, welches durch Harmonie zwischen Erzählweise, den Stories und der Lesbarkeit besticht. Schwächen finden sich eher mit der Lupe. Wer drogeninduzierte Avantgarde-Stories erwartet, welche eine Moral auf der dritten Meta-Ebene propagieren, wird wohl enttäuscht werden. "Die Nacht, die Lichter" ist der Blues unter den Büchern: Von einfachen Emotionen getrieben, nicht sehr kompliziert, aber krass wirksam.

Montag, 7. Januar 2013

Javier Marías - Morgen in der Schlacht denk an mich

Nicht unbedingt ein Kriegsroman. (Quelle)
Javier Marías ist ein äußerst gefährlicher Mann. Denn er vermag es, seinem Leser auf so unheimlich treffsichere Art aus der Seele zu schreiben, dass man dies nichts anderes als "Hexerei" nennen kann. Kraft der Logik soll angenommen werden, dass diese Beobachtung für viele Menschen (a.k.a. "seine Leser") zutrifft. Nun angenommen, dass verschiedene Menschen verschiedene Seelen haben, dann sollte dies doch eigentlich unmöglich sein.

So richtig erklären kann ich es auch nicht, aber so viele "Ja, genau! So ist es!"-Stellen hab ich in einem Buch noch nie erlebt. Davor nur bei "Mein Herz so weiß" von ... ach ja, Javier Marías. Nun gut, das Buch beschäftigt sich nicht mit den Laichzyklen von Süßwasserfischen, sondern es geht eben wie immer bei Romanciers des Schlages Marías um die großen Themen wie Liebe, Tod und Verrat. Insofern wird da jeder einen Ansatzpunkt haben. Doch es bedarf eines Meisters wie dem Autor um diese Gebiete sowohl inhaltlich als auch storytechnisch relevant zu bearbeiten. Das heißt, kontemplative Gedanken dazu sind gut und schön, aber dahinter darf die Geschichte nicht zurückbleiben.

Mit einem unverwechselbaren Stil verwebt Marías eine dunkle Story mit den Gedanken der Hauptfigur. Diese teilt dem Leser durchweg seine Lebenseinsichten mit, welche so einleuchtend sind, dass es teilweise erschütternd ist. Worum geht es? An dieser Stelle sei nur der erste Satz zitiert:

"Niemand denkt je daran, dass er irgendwann eine Tote in den Armen halten könnte..."

Schon ein wenig älter als bei "Mein Herz so weiß". (Quelle)
Wie auch bei "Mein Herz so weiß" wird also direkt mit der Tür ins Haus gefallen. Die Parallelen enden nicht dort. Es besteht wieder ein Wechsel zwischen Alltags- und Rückblicksszenen der Hauptfigur und Szenen, welche die Story vorantreiben. Doch was beim Vorgänger noch ein wenig holprig war, ist dieses Mal sehr viel besser gelöst. Jede der Szenen ist auf ihre eigene Art und Weise spannend. Das Buch strotzt von langen Sätzen, welche oft als Strom von Gedanken entstehen. In den meisten Fällen sind diese jedoch gut zu lesen. Die abermalige (intelligente) Verquickung mit Shakespeare (Titel und lange Zitate) verleiht dem Roman weitere Tiefe.

Nicht ganz so zufrieden bin ich wieder einmal mit dem Ende, was ein wenig konstruiert wirkt (zumindest von der Story her). Doch ich bin geneigt, dem den gleichen Grad von Wichtigkeit zuzusprechen wie der Story selbst: nicht zu wichtig. Denn Spaß macht das Buch nicht vorrangig wegen der Geschichte (das auch!) sondern aufgrund der dichtgepackten, dunklen Atmosphäre und dem sehr hohen Identifikationspotential auf emotionaler Ebene. Das nächste JM-Buch kommt bestimmt!