Dienstag, 27. November 2012

Christian Kracht - 1979

Hm, was war das jetzt? Das Buch lässt einen nach dem Zuklappen erstmal ratlos zurück. Die Intention des Herrn Kracht bleibt dem geneigten Ex-Leser verschlossen. Auch noch nach einigem Drübernachdenken und Wirkenlassen. Aber als offener Weltbürger, welcher (Teile der) moderne(n) Kunst gerade wegen ihres Die-Wahrheit-liegt-im-Auge-des-Betrachters-Credos schätzt, ist das erstmal nicht weiter schlimm. Die Frage ist also, welche Intention sehe ICH in diesem Werk? Gar nicht so einfach, dies auszudrücken. Fangen wir doch erstmal bei der Handlung an.

Ein Stein. Aha. Reduktion allerorten.
(Quelle)
Der Ich-Erzähler reist mit seinem Lebensgefährten Christopher 1979 am Vorabend der Islamischen Revolution nach Teheran. Dort nehmen die beiden noch ganz dandy-like alle bourgeoisen Späße und Vergnügungen wie Partys, Zerstörungswut, Drogen und drogeninduzierte Über-die-Welt-Gespräche mit. Christopher, dessen Status in der Beziehung (jetzt mal politisch unkorrekt ausgedrückt) der Mann ist, ist schon vorher krank und schwach. Außerdem verachtet er den Erzähler eigentlich nur noch. Dieser wiederum fügt sich in sein Schicksal. In seinem benebelten Nihilismus verletzt sich Christopher schwer während der Party. Er wird ins Krankenhaus gebracht und verstirbt dort. Der Erzähler rettet sich in seiner unterdrückten Trauer und den Wirren der beginnenden Revolution zu einer mysteriöse Bekanntschaft einer Party. Auch diese ist allerdings absolut von der Welt entrückt und erzählt dem Erzähler von einem Berg in China, um den er wandern müsse, um zur vollständigen Erleuchtung zu gelangen. Die Hauptfigur folgt wieder einmal diesem Rat und im zweiten Teil des Buches geht es um diese Unternehmung. Während dieser trifft er tibetische Mönche, welche das gleiche Vorhaben besitzen und fühlt sich in ihrer ego-losen Gemeinschaft wohler als je zuvor. Dann jedoch wird er von chinesischen Soldaten gefangen genommen und in ein Arbeitslager verfrachtet. Er wird schmerzhaft umerzogen. Aufgrund einer guter Prognose für ihn wird er zu leichteren Arbeiten auf ein Feld mitten in der chinesischen Wüste geschickt. Auch dort sind die Arbeiten allerdings unmenschlich hart. Der Erzähler aber arrangiert sich mit diesen Arbeiten und tut, was man ihm sagt. Das Ende deutet an, was man sich schon lange dachte: Er ist zufrieden mit dieser Situation.

Aufgrund dieser Zusammenfassung sollte klar sein, worin der rote Faden des Buches aus meiner Sicht besteht. Ja, es geht um die "Selbstaufgabe" und "Selbstauslöschung" (wie es auf dem Buchrücken steht). Aber ist das nicht zu kurz gegriffen? So, wie die Beziehung der beiden am Anfang beschrieben wird, hatte der Erzähler schon vorher viel Energie darauf verwandt, sein Ego klein zu halten. Die Auslöschung passierte nicht aufgrund der Erlebnisse im Buch, sondern ist ein Bestandteil der Persönlichkeit des Erzählers. Alles, was im Buch geschieht, ist im Prinzip eine hochdramatische (übertriebene?) Zuspitzung dieses Charakterzuges. Man kann das nun langweilig finden, denn das bedeutet, dass die Handlung eigentlich gar nicht wichtig bzw. austauschbar ist. Das ist absolut richtig. Doch dann kommen ja noch die Fähigkeiten des Autors ins Spiel.

     Why so serious? Ach stimmt, ist ja 'n seriöser Schrifsteller.    
(Quelle)
Kracht schreibt hauptsächlich äußerst karg in kurzen Sätzen und wenig Details. Wenn er diese einstreut, dann rein der Atmosphäre wegen. Und so sollte es auch sein. Sehr gelungen ist die chamäleonhafte Wandlung des Erzählstils des Erzählers. Redet er am Anfang noch ziemlich klischeebehaftet über seine Gefühle und seine Beobachtungen der Innenarchitektur der teuren Villa des Partygebers (er ist Raumausstatter und seine zur Schau gestellte Expertise nervt), so ändert sich der Stil im Mittelteil (am Berg) zu spirituell und am Ende (im Lager) zu absolut neutral und teilnahmslos. In jeder Lage vermag es Kracht, mit seiner Erzählweise eine dichte Atmosphäre zu erzeugen. Und das - wie gesagt - ohne Detailreiterei.

Abschließend sei noch anzumerken, dass der Knackpunkt für mich ist, dass dieses Werk sehr kurz ist und eigentlich nicht mehr als eine atmosphärische Übung darstellt. Die Frage ist: Besitzt es in seiner Reduktion auf die Beschreibung eines Charakterzuges Tiefgang? Denn viel mehr, aber auch nicht viel weniger, hat es ja nicht zu bieten.

Freitag, 23. November 2012

Jean-Paul Sartre - Die Kindheit eines Chefs


"Ich finde an ihm seine Sichtweise gut, dass Menschen selbst für sich verantwortlich sind und ihrem Leben eigenständig Sinn geben müssen." 


Der Mensch ist zum Lesen verurteilt.
(Quelle)
Seit mich jemand mit diesem Hinweis auf Jean-Paul Sartre brachte, wollte ich etwas von ihm lesen. Sartre bleibt allerdings ein Philosoph und sein 1000-seitiges Hauptwerk "Das Sein und das Nichts" wollte ich mir nun doch nicht antun. Also wurde nach kurzer Recherche "Die Kindheit eines Chefs" auf die rebuy-Liste gesetzt. Jetzt, deutlich später, war dieses Buch nun endlich verfügbar und damit meins.

Das gelesene Büchlein enthält fünf kurze Geschichten auf knapp unter 200 Seiten. Alle haben etwas mit seinem Credo "Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt" zu tun, was im Prinzip heißt, dass der Mensch sich von unbelebten Dingen wie einem Stein dadurch unterscheidet, dass er "handelt". Der Stein handelt nicht, er liegt stumm da. Der Mensch aber ist in seine Existenz geworfen - ungewollt - und hat immer eine Wahl. Er kann sich entscheiden, und zwar in jeder Situation. Und um seinem Leben wirklich einen Sinn zu geben, MUSS er das sogar. Er darf sich also nicht von den Dingen treiben lassen und sich Entscheidungen verweigern. Dann wäre er nichts anderes als ein "Ding", über das entschieden wird. Mir gefällt diese Sichtweise ungemein, weil sie zwar sehr trivial klingt, aber doch unglaublich optimistisch ist. Sie bedeutet, dass jeder den Sinn des Lebens finden kann und zwar auf seine eigene Weise. Und wenn es auf eine Weise nicht funktioniert, so ist ein anderer Ansatz auch in Ordnung. Dies hat den Anschein von Beliebigkeit, als ob dieser Maxime nach alles das Richtige ist. Doch gerade der Vorwurf des Sich-Treiben-Lassens trifft wohl auf alle Menschen zu, mal mehr und mal weniger.

Nie ohne Pfeife unterwegs: Die Pfeife von JPS (Quelle).
Die Geschichten erzählen von alltäglichen und einzigartigen Geschehnissen, z.B. vom Standhaftbleiben eines zur Erschießung verurteilten Widerstandskämpfers oder von einem Mann, welcher Menschen hasst und sich durch einen Mord zur Berühmtheit machen will, am Ende aber nicht konsequent genug ist, sich selbst zu erschießen. Die titelgebende Geschichte befasst sich mit der Sinnsuche eines jungen Menschens. Sein Weg zum Chef-Dasein ist familiär vorgezeichnet, aber er hat Schwierigkeiten, seinen Platz im Leben zu finden. Diese beruhen auf seinem Selbstbild, was im Endeffekt durch die Sicht der anderen auf ihn gebildet wird. Er sammelt vielfältige Erfahrungen und findet am Ende sein (scheinbares) Glück im fanatischen Antisemitismus.

Ein schönes Buch zur Verdeutlichung der Sartre'schen Philosophie. Auch als Schriftsteller - vor allem die letzten zwei Erzählungen sind klasse und atmosphärisch dicht verfasst - war dieser exzellent.

Donnerstag, 15. November 2012

Daniel Kehlmann - Der fernste Ort

Vorschnelle Urteile sind vorschnell ... Nee wirklich?

Jahaa! Fiel mir wieder auf, als ich "Der fernste Ort" ausgelesen hatte. Ein Gefühl von "Hm, das war's?" machte sich breit und ich ordnete diese Novelle gedanklich unter "meh" ein. Aber irgendwie war ich mit dem Ende nicht so ganz zufrieden und daher der Versuch, das Buch von hinten aufzuarbeiten. Und nach und nach wurde mir klar, welch' vielfältiges Deutungspotential das Buch besitzt. Ganz verwegene wären sicher versucht, die gesamte Handlung mit allen Akteuren und Aktionen symbolistisch zu deuten, d.h. in allen Details des Buches etwas anderes zu vermuten als das, was diese eigentlich zu sein scheinen. Nun ja, nicht übertreiben!

Guter Body für 'nen Versicherungsspacko.
(Quelle)
Ein ruhiger, recht mittelmäßiger Versicherungsangestellter (Julian) täuscht seinen Ertrinkungs-Tod vor, um ein neues Leben zu beginnen. So ganz durchdacht hat er das nicht und wo er hin will, weiß er auch nicht. Kehlmann führt uns durch Kindheit und Jugend des Hauptcharakters und zeigt, dass Julian schon immer nicht wusste, wie er in dieses Leben gehört. Das ziemlich biedere Leben bestehend aus gerade so geschafftem Abitur, verrissener Abschlussarbeit über einen unbekannten Philosophen und ungewollter Schwangerschaft mit anschließendem Kindstod der ihm öfters mal fremd vorkommenden Freundin führt ihn in seine Stelle als Versicherungsmathematiker. Auch dort findet er sich mehr schlecht als recht zurecht (ha!). Sein Entschluß, zu verschwinden ist sehr verständlich.

So weit, so normal. Was macht das Buch lesenswert? Klare Antwort: die surrealistische Atmosphäre. Ein kompletter Gegensatz zur langweiligen Alltagswelt. Über die Geschichte legt sich ein bleischwerer, trüber Nebel, welcher zu Bedrücktheit, zu Hoffnungslosigkeit und unterdrückter Verzweiflung führt. Das surrealistische daran sind die vielfach verwendeten falschen Spiegelbilder, die knarzenden Dielen, die spärlich beleuchteten Räume, die sich nach und nach aufbauenden Gesichter und die völlige Selbst-Entfremdung, welcher Julian oft ausgesetzt ist. Weiterhin wird das Motiv der Wiederholung eingesetzt. Personen tauchen aus dem Nichts in anderen Rollen und an unwahrscheinlichen Orten auf, sogar Handlungsstränge werden kaum verändert neu aufgesetzt. Das alles wird einem erst nach dem Lesen so wirklich klar. Ein gutes Zeichen eigentlich.

Ein wenig bieder sieht er ja schon aus.
Autobiographisch? (Quelle)
Doch diese verwendeten Stilmittel bergen eben auch Gefahren. So bleiben ziemlich viele lose Enden. Man hat ein wenig das Gefühl, als seien einige dieser Stilistiken zum Selbstzweck eingesetzt. Oder ist man zu faul, um diese vernünftig zu deuten? Apropos Faulheit: "Julian fühlte sich komisch. Irgendwas stimmte nicht." Ja, "irgendwas" ist oft der Grund für irgendwas. Das zieht sich durch das ganze Buch. Irgendwas ist immer faul. Auch das Syndrom der ausschweifenden Beschreibung von noch so banalen Details trübt ein wenig den guten Eindruck. Warum soll es mir etwas bringen, zu wissen, dass der Schrank im Raum aus Eichenholz ist und vor 50 Jahren geerbt wurde? Es sorgt nicht für Atmosphäre und ist einfach überflüssig.

Wie kommt man zu einer abschließenden Beurteilung des Buches? Abschließend wohl schon mal gar nicht, aber vorläufig reicht es, sich zu fragen, "Befriedigt mich das, was ich gelesen hab?" Was sagt also das dumpfe Bauchgefühl? Es sagt "Hm, irgendwie :-P schon, aber ein bißchen auch nicht". "Der fernste Ort" ist sicher nicht perfekt, aber hat meiner Ansicht nach eine Menge Potential und die Atmosphäre, gerade auch am Ende, macht unheimlich viel gut. Ach, würde der Kehlmann mal ein etwas längeres Buch schreiben... Stattdessen wurde er sogar noch kürzer.

Samstag, 10. November 2012

Alben-Reviews - Mini-Edition - Folge 4


So, genug Stoff für einen neuen Musikpost hat sich nun angesammelt. Es war ja auch ein vielversprechender Herbst, der mit echten Perlen aufwartete. Zumindest vom Namen und der Erwartungshaltung her. Leider muss konstatiert werden

- dass qualitätsmäßig sichere Bänke sich nun doch recht morsch anhören (Neurosis)
- dass großspurigen Schreihälsen die Shouts im Halse stecken bleiben und (Stone Sour)
- dass selbst vollständig rekonvaleszente Drogenopfer Musik machten, die nach totalem Rückfall klingen (John Frusciante)

Insgesamt überwiegt also leider die Enttäuschung. Logischerweise gibt es aber auch gutes zu vermelden. Damit soll selbstverständlich angefangen werden.

Neil Young - Psychedelic Pill (Quelle)
Neil Young liefert mit "Psychedelic Pill" Album Numero 8463 ab. Alles klingt wie immer und das ist auch genau richtig so. Wer sonst würde ein Album mit einem 27-minütigen Song einläuten? Und dann später noch zwei 15-20-Minüter hinterherschieben? Voll mit seinem melodiösen brüchigen Gesang und ohrenbetäubenden Feedback-Gitarren. Neil Young ... da weiß man, was man hat. (Meistens)

Deftones - Koi No Yokan (Quelle)
Auch das neue Album der Deftones "Koi No Yokan" liefert mehr vom selben. Doch kaum eine Band beherrscht das Yin und Yang der Spannungs- und Gefühlsbögen so gut wie die Deftones. Brachiale Rocknummern münden in hypnotische Midtemposongs, welche Platz machen für äußerst melancholische Balladen (natürlich versetzt mit den obligatorischen Gefühlsausbrüchen). Ganz einfach große Kunst, was uns die Kalifornier da vorsetzen.

Soundgarden - King Animal (Quelle)
"Das Beste erhoffen, das Schlimmste befürchten" war der Leitspruch bzgl. des neuen Soundgarden-Albums "King Animal". Nun, wie es sich für eine der ersten Indie-Bands (ja, das war früher Indie!) gehört, halten die sich nicht dran und machen ihr eigenes Ding. Will heißen, das Album ist nicht so ganz Fisch und nicht so ganz Fleisch. Eher so ein Mischmasch aus Pute (es gibt ein paar ganz originelle Songs, ein paar gute Rocker und die Produktion ist ausgezeichnet) und Tofu (es ist halt alles nicht so das "Wahre" bzw. man hat sich wohl insgeheim was noch besseres erwartet). Schmeckt schon ganz passabel, aber so ein Rindernackensteak ist dann doch eine ganz andere Liga. Trotzdem toll, mal wieder Chris Cornell's Stimme zu hören.

Placebo - B3 (Quelle)
Nicht unerwähnt soll auch noch "B3" von Placebo bleiben. Joar, kann man zum Großteil hören. Vermisse nur die tiefen Ultra-Hirsch-Röhr-Shouts von früher (vom ersten Sänger) und natürlich fehlen aber voll auch noch die geilen Triangel-Melodien. Ansonsten geht das schon klar.

So, nun zu den Enttäuschungen. Das ganze ein wenig ausführlicher.

Neurosis - Honor Found In Decay (Quelle)
Neurosis sind immer noch Großmeister des Atmosphäre- und Spannungsaufbaus und die drei megafetten Brüllstimmen der Sänger haben trotz vielfacher Beanspruchung nicht gelitten (und das, obwohl einer der drei Grundschullehrer ist... hm, vllt kann er auch deshalb so gut schreien). Aber auf "Honor Found In Decay"  fehlen meines Erachtens nach die neuen kreativen Ideen, die Parts, von denen man nie dachte, dass sie kommen und die Melodien, die einfach, aber wirkungsvoll sind. Ja, es gibt zwei, drei richtig gute Songs auf dem Album. Aber auch bei denen kann man meist vorhersagen, wann die lauten Gitarren einsetzen und wann der ruhige Break einsetzt. Hätte nie gedacht, dass ich so etwas mal über ein Neurosis-Album schreiben würde, damn.

Stone Sour - Hoise Of Gold & Bones Part I (Quelle)
Von Stone Sour bin ich echt ein wenig enttäuscht. Was haben die sich das Maul zerrissen, dass "House Of Gold And Bones" (Part I) (!) ein Mix aus "The Wall" von Pink Floyd und "Dirt" von Alice In Chains wird. Ein Konzeptalbum megalomanischen Ausmaßes. Die ersten veröffentlichten Tracks stimmten positiv. Gute Produktion und sehr sehr ordentliche Rocker, gesungen von einem stimmlich deutlich gereiften Corey Taylor. Dummerweise waren diese drei, vier Tracks die wirklich guten Songs. Gerade die "gefühlvollen" Lieder, welche auf einem Konzeptalbum zwangsläufig auftauchen müssen, sind dermaßen verkitscht und triefen vor Pathos, dass es echt nicht mehr lustig ist. Würg. Und das ist eben der Unterschied zu "The Wall". Dieses Album hatte gute Rocker UND gute Balladen.

John Frusciante - PBX Funicular Intaglio Zone (Quelle)
Zu John Frusciante ist kaum was zu sagen. Musikalisch ausgeflippt war er schon immer und das vorherige Album ist trotz Freak-Faktor eins der besseren der letzten Jahre. Aber was auf "PBX Funicular Intaglio Zone" zu hören ist, sprengt jeglichen Rahmen. Das klingt nach LSD-Trip mit XTC-Einwurf alle zwanzig Sekunden. Und währenddessen schlägt dir jemand mit nem Vorschlaghammer auf den Hinterkopf, bohrt dir ein Loch in den Rücken und rasiert dir mit einer Kettensäge die Beine ab. Jetzt hab ich doch was gesagt *augenroll*