Samstag, 13. Juli 2013

Von Prag nach Sibirien

Gaaanz frühes Foto. (Quelle)
Es bewahrheitet sich mal wieder die Erkenntnis, dass Kunst, egal ob Literatur, Musik oder Malerei oder sonst etwas, fast immer eine ganz neue Bedeutung bekommt, sobald sie mit einem persönlichen Bezug "aufgeladen" wird. Vormals gute wird zu wichtiger und sehr gute zu genialer Kunst. Zumindest für einen selbst. Andere werden das schwer verstehen, weil sie nicht denselben Bezug haben. Vielleicht aber einen eigenen. Das ist - nebenbei gesagt - das Tolle an ihr und gleichzeitig das schwierige, das diffizile.

Gustav Meyrinks "Der Golem" basiert lose auf der Sage aus Prag, in welcher ein jüdischer Rabbi aus Lehm eine lebende Masse zur Hilfe der Gemeinde formte. Der Golem war allerdings bald widerspenstig, richtete Verwüstung an und musste vom Rabbi das Lebenslicht wieder entzogen bekommen. Die Lehmmasse wird noch heute in einer Synagoge in Prag vermutet. Meyrink baut um diesen Mythos eine Geschichte eines mysteriösen, des Gedächtnisses verlustig gegangenen Gemmenschneider mit dem fantastischen Namen "Athanasius Pernath" auf. Dieser lebt im jüdischen Ghetto von Prag um etwa 1880 rum. Erzählweise und auftretende Figuren, die Handlung - alles ist nebulös, mysteriös, kapriziös. Immer schwebt der eigenwillige Charme der jüdischen Mythologie (vgl. Kabbala) im Raum und man bekommt den Eindruck einer abgetrennten Welt in der Welt. Meyrinks Erstling bewegt sich sprachlich und atmosphärisch in den Fußstapfen von Edgar Allan Poe, nur halt im Setting von Prag.

Ist das der Golem? Hm... (Quelle)
Was wir also hier haben, ist eine mysteriöse Geschichte mit Mindfuck-Elementen, mit eleganter Sprache und düsterer Atmosphäre. Das allein macht es zu einem sehr guten Buch. Die abermalige Referenzierung von bekannten Orten aus Prag macht es für mich dann zu einem genialen. Denn wie bei Clemens Fischers Beschreibungen von Leipziger Ortschaften entsteht dadurch ein tieferer Bezug. Bei allem Anregen von Phantasie -  wenn man von den Plätzen und Orten des Buches ein genaues Bild im Kopf hat, ist das einfach wunderbar.

Einen anderen persönlichen Bezug hat Alexander Issajewitsch Solschenizyns "Ein Tag im Leben des Iwan Dennisowitsch". Iwan Dennisowitsch Schuchow (ich liebe diese russischen Namen!) ist Sträfling in einem russischen Arbeitslager in Sibirien ein paar Jahre nach dem 2. Weltkrieg. Er hat für angebliche Spionage für die Deutschen 10 Jahre in diesem Lager aufgebrummt bekommen. Wie zu erwarten, ist die Arbeit knüppelhart, das Wetter unmenschlich und die Aufseher unwirtlich (oder andersrum?). Wie der Name schon sagt, wird ein Tag in diesem Lager aus Sicht von Schuchow beschrieben. Je mehr ich las, desto mehr projizierte ich Schuchow auf jemanden, der so etwas wirklich unter ähnlichen Umständen erlebt hat.
Alexander Issajewtisch in seiner
Sträflingszeit. (Quelle)

Das Buch ist in seinem Kern ähnlich zu "Die Wand", in welcher ja auch "nur" das Leben der Hauptfigur beschrieben wird (bis auf eine Wendung am Schluß). Die tiefe Identifikation mit Schuchow lässt einen aber immer weiterlesen, gerade auch, weil im ganzen Buch keine versteckten Seitenhiebe, keine Wertungen, rein gar nichts an politischer Botschaft vorhanden ist. Schuchow hat für so etwas nach Jahren im Lager keine Zeit und keinen Nerv, andere Dinge sind wichtig. Was einen fasziniert, ist der Pragmatismus der Leute, der Zusammenhalt, der Lebenswille. Vor allem bei Schuchow erkennt man auch unglaubliche Klugheit, in allem, was er macht. Eigenschaften und Umstände, die wohl jeder gerne hätte.

Schwarz und weiß, endlich rot! (Quelle)
So ist es dann auch folgerichtig, dass man das Buch nach dem Auslesen mit einem guten Gefühl weglegt. Bizarr, denn trotz des gut verlaufenen Tags bestehend aus 12 Stunden Knochenarbeit, Haferbreimahlzeiten, minus 30 Grad Kälte und Wachmannschaftsschikanen, hat ja Schuchow immer noch mehrere Jahre vor sich. Auch danach wird es für ihn schwierig, wieder ins Leben zurückzufinden. Und eine nach der Freilassung sich andeutende Verbannung verkompliziert das ganze zusätzlich.



Zwei mal die absolute Höchstwertung - hätte ich so etwas. Deswegen bleibt mir nur, diesen ganzen Absatz rot zu färben.  

Donnerstag, 11. Juli 2013

Eine - nein - zwei Novellen

Novellen haben den Vorteil, dass sie meist flink zu lesen sind, denn sie sind definitionsgemäß eher kurz. Problematisch dabei ist, eine tiefgehende Wirkung zu erzielen, wenn doch der Raum zum Entfalten der Geschichte so begrenzt ist. Umso mehr kommt es auf das Können des Autoren an. Er muss eine spannende Geschichte erzählen, oder eine oberflächlich gesehen langweilige auf spannende Weise. Er sollte dabei den Leser bei der Stange halten, gerade auch mit den Mitteln seiner Sprache. Doch verschwurbelte Schachtelsätze bieten sich auf dem begrenzten Seitenraum der Novelle gemeinhin nicht unbedingt dafür an. Jedoch, eine bloße Anhäufung von Fakten ohne stilistische Besonderheiten, gehen am zu erreichenden Ziel auch wieder vorbei. Man sieht, es ist fürwahr eine Kunst, eine gute Novelle zu verfassen.

Äh... Augenbrauen.  (Quelle)
Zwei von ihnen sind "Ein fliehendes Pferd" von Martin Walser und "Ich und Kaminski" von Daniel Kehlmann. Es stehen sich also zwei Generationen des teutschen Schriftstellertums gegenüber. Dies aber nicht unversöhnlich und erst recht nicht ohne Gemeinsamkeiten. Gemeinsam haben sie z.B., dass sie mit diesen beiden Werken zwei gute Zeugnisse ihrer Kunst fabriziert haben.

Komisches Pferd. (Quelle)
Wer Martin Walser heute kennt, wird an ihn als einen alten, weißbehaarten Mann denken, der mit seinem schweizerisch angehauchten Dialekt und wohlklingender tiefer Stimme wie der respektierte, lebenskluge, aber etwas eigensinnige Opa des Dorfes wirkt. Manche werden sich an die für ihn stürmische Zeit vor etwa 10-15 Jahren erinnern, in der er aufgrund einer Rede und eines anschließend veröffentlichten Buches arg im Fokus der (Medien-)Kritik stand.

Dass nun dieser Mensch in "Ein fliehendes Pferd" über zwei Beziehungen, die gegenteiliger nicht sein könnten, schreibt, sollte noch nicht verwundern, hat er doch in den letzten Jahren fast ausschließlich über die zwei Themen geschrieben, welche unvergänglich sind: Liebe und Tod. Sehr wohl überraschend wirkt aber der Stil und die unverblümte Taktlosigkeit, mit der er in seiner Novelle die Geschichte so oft auflockert. Walser hatte wohl einen geradezu diebischen Spaß daran, vulgäre Episoden und Ausdrücke in seine Geschichte einzuflechten. Erfrischend und unverhofft! Die Geschichte bleibt dabei jedoch stets im Vordergrund und wird gerade am Ende umso spannender. So sollte es sein!

Bloß keine Zähne zeigen! (Quelle)
Kehlmann's "Ich und Kaminski" dagegen punktet eher mit seiner bizarren Handlung und mehr oder weniger offensichtlichen Seitenhieben auf Kunst und Kritik derer. Wenn man so will, geht es bei Walser eher gemächlich los, bei Kehlmann mit einem Paukenschlag. Sofort wird der Kritiker, mit dem sich der Leser identifizieren soll (oder auch nicht), hinreichend beschrieben, indem sein Arschloch-Verhalten, seine Eingebildetheit und seine heimliche Angst vor dem Zerbrechen dieser Mauer offengelegt wird.

Ist das Kunst oder kann das weg?
(Quelle)
Die Geschichte vom Kritiker Zöllner, der schnell Geld machen will, weil er den längst vergessenen Künstler Kaminski mit einer Biographie "würdigen" will, welche schnell auf den Markt geschmissen werden soll, da Kaminski kurz vor dem Exitus steht - ja, diese Geschichte ist reich an plakativen Momenten, welche Klischees übererfüllen, aber auch reich an Wendungen, die man als Leser so nicht erwartet. Im Zuge dieser bröckelt die Überlegenheit des Kritikers gegenüber dem Künstler langsam dahin und ein melancholisches Ende läßt einen sowohl zufrieden als auch ein wenig traurig zurück. Melancholie eben.

Beide Novellen haben das gewisse Etwas, jeweils auf verschiedenen Ebenen. Walser höre ich jedoch lieber zu, er ist gemütlicher und wirkt ungezwungener und nicht überehrgeizig. Allerdings ist gerade dies das Privileg der Alten.

Donnerstag, 23. Mai 2013

Bestandsaufnahme 1. Musik-Semester 2013


Im ersten Semester des 2013. Jahr unseres Herren offenbart sich dem nach Musik lechzenden Individuum, gemeinhin "Ich", eine beeindruckende Vielfalt von kreativen Ergüssen. Keine Ahnung, ob vorhergehende Jahrgänge genauso gut waren wie dieser vielleicht werden wird. Möglicherweise ja, möglicherweise nein. Unverrückbar bleibt folgende Volksweisheit: Wer suchet, der findet. Suchen muss man allerdings. Doch Kommando zurück! Zumindest zur Hälfte. Denn auch bewährte Kräfte, von denen man schlichtweg Qualität erwartet, liefern diese getreu ab.

Eine Frage stellt sich allerdings. Steht der Genuss am Hören nicht in proportionalem Zusammenhang zur Aufmerksamkeitsspanne und der Aufmerksamkeitsbereitschaft? Antwort: Natürlich. Und diese meine stieg in dem Moment, in dem man durch guten Sound aufgrund neuer Boxen fast schon gezwungen wurde, an alten Songs neue Details mitzubekommen und neue Songs intensiver zu erleben. Klassische Win-Win-Situation! Yeah!!

Ohne jetzt diese Meinungen weiter auszuführen, will ich folgendes positiv erwähnen:

Alice In Chains (The Devil Put Dinosaurs Here),
Atoms For Peace (Amok),
Depeche Mode (Delta Machine),
The Dillinger Escape Plan (One Of Us Is The Killer),
How To Destroy Angels (Welcome Oblivion),
James Blake (Overgrown),
The Knife (Shaking The Habitual),
Mark Lanegan (Black Pudding),
Max Prosa (Rangoon),
My Bloody Valentine (M B V),
Nick Cave (Push The Sky Away),
Queens Of The Stone Age (... Like Clockwork),
Stone Sour (House Of Gold & Bones Part 2),
Tomahawk (Oddfellows),
Suicidal Tendencies (13),
Volbeat (Outlaw Gentlemen & Shady Ladies).

Nice ... mud!!!!!!!111einseinself


Mittwoch, 27. März 2013

Florian Illies - 1913

Franz Kafka und sein Hochzeitsantrag:

Auszüge aus diesem Buch. (Quelle)
"[..] zu langem Zögern ist nicht mehr Zeit, wenigstens fühle ich das so, und deshalb frage ich also: Willst Du unter der obigen, leider nicht zu beseitigenden Voraussetzung [Kafka ist Hypochonder] überlegen, ob Du meine Frau werden willst? Willst du das?"

"[..] Nun bedenke, Felice, welche Veränderung durch eine Ehe mit uns vorginge. Ich würde meine meistens schreckliche Einsamkeit verlieren und Dich gewinnen, die ich über allen Menschen liebe. Du aber würdest Dein bisheriges Leben verlieren, in dem Du fast gänzlich zufrieden warst. Du würdest Berlin verlieren, das Bureau, das Dich freut, die Freundinnen, die kleinen Vergnügungen, die Aussicht, einen gesunden, lustigen, guten Mann zu heiraten, schöne, gesunde Kinder zu bekommen, nach denen Du dich, wenn Du es nur überlegst, geradezu sehnst. Anstelle dieses gar nicht abzuschätzenden Verlustes wurdest Du einen kranken, schwachen, ungeselligen, schweigsamen, traurigen, steifen, fast hoffnungslosen Menschen gewinnen."

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Fahrrad-Rad von Duchamp. (Quelle)

Marcel Duchamp und der beiläufigste Paradigmenwechsel der Kunstgeschichte:


"Kann man," so fragt er sich, "Werke schaffen, die keine Kunst-Werke sind?" Und dann tauchte im Herbst in seiner neuen Wohnung in der Rue Saint-Hippolyte in Paris plötzlich das Vorderrad eines Fahrrades auf, das er auf einen gewöhnlichen Küchenschemel montiert. Marcel Duchamp spricht darüber ganz beiläufig: "Es war etwas, das ich in meinem Zimmer haben wollte, wie man ein Feuer hat oder einen Bleistiftanspitzer, außer, dass es keinen Nutzeffekt hatte. Es ist ein angenehmes Gerät, angenehm aufgrund der Bewegungen, die es gab."

Laut Duchamp landete dieses Rad auf dem Müll. Heutzutage stehen allerdings mehrere Repliken in Museen. Denn das ist Kunst.

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Das Jahr des Elternmordes (bildlich gesprochen), Briefwechsel Egon Schiele und Schieles Mutter:

Mutter und Sohn Schiele.
(Quelle)
"Ich werde die Frucht sein die nach ihrer Verwesung noch ewige Lebewesen zurücklassen wird, also wie groß muß deine Freude darob sein, mich gebracht zu haben?"

"Das verwahrloste ärmste Grab birgt die Gebeine Deines Vaters, der für Dich Blut geschwitzt hätte. Wieviel Geld wirfst Du unnütz von Dir. Für alle und Alles hast Du Zeit, nur für deine arme Mutter nicht. Gott verzeih es Dir, ich kann es nicht."

"Liebe Mutter Schiele, wozu immer solche Briefe, die ohnehin in den Ofen kommen. Wenn Du etwas brauchst nächstens, so komme zu mir, ich komme nie mehr wieder. Egon."

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Rechercheur, Komponist und Verfasser F. Illies. (Quelle)
"Welt der Frau", Ausgabe 5:

"Das Abendkleid dieser Saison zeichnet sich durch luxuriöses Gepräge und phantastische Drapierungen aus, die auch der geschicktesten Schneiderin manch harte Nuss zu knacken geben." Mögliche Hüftbreiten: 116, 112, 108, 104, 100 und 96.

"Welt der Frau", Ausgabe 9:

"Mode für schlanke Damen. Sie haben es nicht immer leicht, die schmächtigen, überschlanken Evastöchter, sich gut und der Mode entsprechend anzuziehen. Da heißt es zu Kompromissen zu greifen und das, was die Natur versagt, durch geschickte, faltige Arrangements zu kaschieren." Schlankheit gilt 1913 noch als Schicksalsschlag.

Donnerstag, 31. Januar 2013

Alben-Reviews - Mini-Edition - Folge 5

Viel neues musikalisches Kulturgut hat sich seit dem letzten Review-Post angesammelt. Vieles davon hat elektronische Komponenten. Als da wären:

UNKLE - Psyence Fiction (Quelle)
Ein ziemlich cooles Alternative-Electro-Mischmasch-Album von UNKLE, welches auf den Namen "Psyence Fiction" hört. Das Gespann bestand zur Veröffentlichung (1998) aus dem Gründer James Lavelle und DJ Shadow. Deren erworbene Underground-Meriten verhalfen ihnen zu Gaststars wie Thom Yorke, Richard Ashcroft (The Verve), Mike D von den Beastie Boys und Jason Newsted von Metallica. Raus kommt eine schwer zu beschreibende Mischung aus Alternative Rock, Hip Hop und Samples, die von energiegeladen über melancholisch zu chillig geht. Vor allem die folgenden Tracks geben einen guten Einblick: "Rabbit In Your Headlights", "Bloodstain" und "Lonely Soul".

WhoMadeWho - Brighter (Quelle)
Eine absolute Neuentdeckung für mich sind WhoMadeWho. Ihr Album "Brighter" aus dem Jahr 2010 besticht durch coole basslastige (welcher allerdings schneidend scharf klingt) Produktion, drunter wummernden Disco-Beats (klingt geiler als es sich hier anhört), kreative Songarrangements mit QOTSA-ähnlichem Gesang. Na, klingt das nicht absurd? Yep. Und deswegen regelt es auch. Danke an Mark Lanegan (von QOTSA), dessen Cover vom ziemlich superben "Below The Cherry Moon" mich erst auf diese Dänen aufmerksam gemacht hat. Weiterhin anzuhören sind: "Running Man" und "The Sun". Jetzt wird mir erst klar, woher Lanegan die Inspiration für sein letztes Meisterwerk "Blues Funeral" gezogen hat.

Photek - Avalanche EP (Quelle)
Schon eine ganze Weile ein Favorit von mir ist Photek. Seine EP "Avalanche" (muahaha) ist im Downtempo-Bereich angesiedelt und hört sich am besten in voller Dunkelheit. Der verzerrte Bass und die stampfenden Beats erzeugen gerade in diesen niederen Temporegionen eine Soundwalze, welche durch Samples angereichert werden, die teils sehr futuristisch klingen. Eine sehr coole Kombination meiner Ansicht nach. Sein letztes Album "KU:PALM" folgt diesem Rezept nicht mehr, hat aber auch einiges zu bieten. So höre man folgendes, um sich selbst zu überzeugen: "Avalanche" (EP), "Slowburn" (EP) und "Sleepwalking" (Album).

Flying Lotus - Until The Quiet Comes
(Quelle)
Noch sehr viel psychedelischer und verdrogter kommt Flying Lotus her. Aber nicht im Cypress-Hill-Style. Dieses Video gibt einen guten Einblick in den Geisteszustand, in dem man sein muss, um an "Until The Quiet Comes" Gefallen zu finden. Ich muss zugeben, nicht alle Songs gefallen mir, aber allein für die guten lohnt es sich, dieses Album zu hören. 23 Uhr abends auf dem dunklen Rücksitz eines geschmeidig über die Autobahn gleitenden Autos wird der Psycho-Faktor natürlich nochmal vervielfacht. Ein wenig Einhörzeit war definitiv vonnöten, aber einmal auf dem Trip knallt es richtig. Tipps: "The Nightcaller", "me Yesterday//Corded" und "Getting There".

Modeselektor - Monkeytown (Quelle)
Zu guter Letzt gibt es noch die Bassmonster von Modeselektor. Ihr Album "Monkeytown" macht einfach Spaß, ist aber gleichzeitig hochgradig relaxt. Wer Modeselektor-Songs hört und einen guten Subwoofer sein Eigen nennen darf, sollte mit einem schnell folgenden Polizeieinsatz rechnen. "Wo brennt's denn, Herr Wachtmeister?" "Ihre Nachbarn beschweren sich wegen umgestürzten Möbeln und abbröselndem Putz." Ohne Scheiß: während alle anderen Instrumente auf Normallautstärke tönen, sorgt der Bass für wandernde Tische und durchgekneteten Muskelkater. Warum schreiben die aber auch so gute Songs? Warum sind die ersten 6 Songs allesamt anders und allesamt richtig richtig gut? Warum kann ich mich mit Gerappe anfreunden? Tipps: "Blue Clouds", "Shipwreck" und "German Clap".

Dienstag, 29. Januar 2013

Clemens Meyer - Die Nacht, Die Lichter

Skeptisch war ich. Im Voraus. Clemens Meyer, ein junger Schriftsteller mit gewissem Hype-Faktor. Von "Als wir träumten" schwärmten viele und "Die Nacht, Die Lichter" wurde unisono durchempfohlen. Zumindest von Studenten und Hipstern ;-) Grund genug also, vorsichtig zu sein.

Nacht und Lichter: Ständige
Wegbegleiter der Stories. (Quelle)
Nun, das Verdikt lautet: "Die Nacht, Die Lichter" ist tatsächlich ein sehr gutes Buch. Wobei sein Untertitel "Stories" schon zeigt, dass wir es nicht mit einem Roman, sondern mit einer Sammlung von Geschichten zu tun haben. Der Schreibstil, die Erzählweise und die Stories selber sind erstaunlich ausgewogen und moderat. Meyer verzichtet dankenswerterweise darauf, (künstlerische) "Grenzen auszuloten". Es werden sich bis auf kleine Ausnahmen keine "superkrassen"  "abgespaceten" Stories finden. Einfühlsam, aber nicht kitschig präsentieren die meisten Geschichten Menschen aus den sozial niederen Schichten.

Aber man hat es weiß Gott nicht mit einer Kollektion von Losergeschichten zu tun. Dies würde auch sehr schnell langweilig. Nein, das Milieu, die erzeugte Atmosphäre und die "Moral" unterscheidet sich von Geschichte zu Geschichte genug, um nie Langeweile aufkommen zu lassen. Die Trinker, die Ausländer, die Alten, die Knastis, die Künstler, die Schichtarbeiter ... alle haben sie ihre eigene Story. Nicht immer nehmen die Geschichten ein gutes Ende, aber manchmal schon. Oder was man dafür hält.

Teilweise deutet Meyer sein weiterführendes erzählerisches Talent an. Beispielsweise direkt in der ersten Geschichte, in welcher wilde Story- und Zeitsprünge vollzogen werden, welche anfangs sehr verwirren. Anders aber als beim Einsatz dieses Stilmittels zum Selbstzweck hat man hier eher das Gefühl, dass nochmaliges Lesen Klarheit bringt und tiefere Einsichten in die Geschichte ermöglicht.

Er sieht gefährlich normal aus, der Clemens.
(Quelle)
Auch die öfters mal vorkommenden Referenzen auf Leipzig (und auch Halle, Bitterfeld und Köthen *g*) werden gerne gelesen und verarbeitet. Dadurch nämlich wird die Identifikation leichter und die Bindung an die Geschichte enger. "Ach und hier meint er wohl die Eisenbahnstraße ... und hier ist er vielleicht im Westin oder auf dem Weisheitszahn" ... Nettes Gefühl.

Zusammengefasst ist "Die Nacht, Die Lichter" ein sehr gutes Werk, welches durch Harmonie zwischen Erzählweise, den Stories und der Lesbarkeit besticht. Schwächen finden sich eher mit der Lupe. Wer drogeninduzierte Avantgarde-Stories erwartet, welche eine Moral auf der dritten Meta-Ebene propagieren, wird wohl enttäuscht werden. "Die Nacht, die Lichter" ist der Blues unter den Büchern: Von einfachen Emotionen getrieben, nicht sehr kompliziert, aber krass wirksam.

Montag, 7. Januar 2013

Javier Marías - Morgen in der Schlacht denk an mich

Nicht unbedingt ein Kriegsroman. (Quelle)
Javier Marías ist ein äußerst gefährlicher Mann. Denn er vermag es, seinem Leser auf so unheimlich treffsichere Art aus der Seele zu schreiben, dass man dies nichts anderes als "Hexerei" nennen kann. Kraft der Logik soll angenommen werden, dass diese Beobachtung für viele Menschen (a.k.a. "seine Leser") zutrifft. Nun angenommen, dass verschiedene Menschen verschiedene Seelen haben, dann sollte dies doch eigentlich unmöglich sein.

So richtig erklären kann ich es auch nicht, aber so viele "Ja, genau! So ist es!"-Stellen hab ich in einem Buch noch nie erlebt. Davor nur bei "Mein Herz so weiß" von ... ach ja, Javier Marías. Nun gut, das Buch beschäftigt sich nicht mit den Laichzyklen von Süßwasserfischen, sondern es geht eben wie immer bei Romanciers des Schlages Marías um die großen Themen wie Liebe, Tod und Verrat. Insofern wird da jeder einen Ansatzpunkt haben. Doch es bedarf eines Meisters wie dem Autor um diese Gebiete sowohl inhaltlich als auch storytechnisch relevant zu bearbeiten. Das heißt, kontemplative Gedanken dazu sind gut und schön, aber dahinter darf die Geschichte nicht zurückbleiben.

Mit einem unverwechselbaren Stil verwebt Marías eine dunkle Story mit den Gedanken der Hauptfigur. Diese teilt dem Leser durchweg seine Lebenseinsichten mit, welche so einleuchtend sind, dass es teilweise erschütternd ist. Worum geht es? An dieser Stelle sei nur der erste Satz zitiert:

"Niemand denkt je daran, dass er irgendwann eine Tote in den Armen halten könnte..."

Schon ein wenig älter als bei "Mein Herz so weiß". (Quelle)
Wie auch bei "Mein Herz so weiß" wird also direkt mit der Tür ins Haus gefallen. Die Parallelen enden nicht dort. Es besteht wieder ein Wechsel zwischen Alltags- und Rückblicksszenen der Hauptfigur und Szenen, welche die Story vorantreiben. Doch was beim Vorgänger noch ein wenig holprig war, ist dieses Mal sehr viel besser gelöst. Jede der Szenen ist auf ihre eigene Art und Weise spannend. Das Buch strotzt von langen Sätzen, welche oft als Strom von Gedanken entstehen. In den meisten Fällen sind diese jedoch gut zu lesen. Die abermalige (intelligente) Verquickung mit Shakespeare (Titel und lange Zitate) verleiht dem Roman weitere Tiefe.

Nicht ganz so zufrieden bin ich wieder einmal mit dem Ende, was ein wenig konstruiert wirkt (zumindest von der Story her). Doch ich bin geneigt, dem den gleichen Grad von Wichtigkeit zuzusprechen wie der Story selbst: nicht zu wichtig. Denn Spaß macht das Buch nicht vorrangig wegen der Geschichte (das auch!) sondern aufgrund der dichtgepackten, dunklen Atmosphäre und dem sehr hohen Identifikationspotential auf emotionaler Ebene. Das nächste JM-Buch kommt bestimmt!