Donnerstag, 15. November 2012

Daniel Kehlmann - Der fernste Ort

Vorschnelle Urteile sind vorschnell ... Nee wirklich?

Jahaa! Fiel mir wieder auf, als ich "Der fernste Ort" ausgelesen hatte. Ein Gefühl von "Hm, das war's?" machte sich breit und ich ordnete diese Novelle gedanklich unter "meh" ein. Aber irgendwie war ich mit dem Ende nicht so ganz zufrieden und daher der Versuch, das Buch von hinten aufzuarbeiten. Und nach und nach wurde mir klar, welch' vielfältiges Deutungspotential das Buch besitzt. Ganz verwegene wären sicher versucht, die gesamte Handlung mit allen Akteuren und Aktionen symbolistisch zu deuten, d.h. in allen Details des Buches etwas anderes zu vermuten als das, was diese eigentlich zu sein scheinen. Nun ja, nicht übertreiben!

Guter Body für 'nen Versicherungsspacko.
(Quelle)
Ein ruhiger, recht mittelmäßiger Versicherungsangestellter (Julian) täuscht seinen Ertrinkungs-Tod vor, um ein neues Leben zu beginnen. So ganz durchdacht hat er das nicht und wo er hin will, weiß er auch nicht. Kehlmann führt uns durch Kindheit und Jugend des Hauptcharakters und zeigt, dass Julian schon immer nicht wusste, wie er in dieses Leben gehört. Das ziemlich biedere Leben bestehend aus gerade so geschafftem Abitur, verrissener Abschlussarbeit über einen unbekannten Philosophen und ungewollter Schwangerschaft mit anschließendem Kindstod der ihm öfters mal fremd vorkommenden Freundin führt ihn in seine Stelle als Versicherungsmathematiker. Auch dort findet er sich mehr schlecht als recht zurecht (ha!). Sein Entschluß, zu verschwinden ist sehr verständlich.

So weit, so normal. Was macht das Buch lesenswert? Klare Antwort: die surrealistische Atmosphäre. Ein kompletter Gegensatz zur langweiligen Alltagswelt. Über die Geschichte legt sich ein bleischwerer, trüber Nebel, welcher zu Bedrücktheit, zu Hoffnungslosigkeit und unterdrückter Verzweiflung führt. Das surrealistische daran sind die vielfach verwendeten falschen Spiegelbilder, die knarzenden Dielen, die spärlich beleuchteten Räume, die sich nach und nach aufbauenden Gesichter und die völlige Selbst-Entfremdung, welcher Julian oft ausgesetzt ist. Weiterhin wird das Motiv der Wiederholung eingesetzt. Personen tauchen aus dem Nichts in anderen Rollen und an unwahrscheinlichen Orten auf, sogar Handlungsstränge werden kaum verändert neu aufgesetzt. Das alles wird einem erst nach dem Lesen so wirklich klar. Ein gutes Zeichen eigentlich.

Ein wenig bieder sieht er ja schon aus.
Autobiographisch? (Quelle)
Doch diese verwendeten Stilmittel bergen eben auch Gefahren. So bleiben ziemlich viele lose Enden. Man hat ein wenig das Gefühl, als seien einige dieser Stilistiken zum Selbstzweck eingesetzt. Oder ist man zu faul, um diese vernünftig zu deuten? Apropos Faulheit: "Julian fühlte sich komisch. Irgendwas stimmte nicht." Ja, "irgendwas" ist oft der Grund für irgendwas. Das zieht sich durch das ganze Buch. Irgendwas ist immer faul. Auch das Syndrom der ausschweifenden Beschreibung von noch so banalen Details trübt ein wenig den guten Eindruck. Warum soll es mir etwas bringen, zu wissen, dass der Schrank im Raum aus Eichenholz ist und vor 50 Jahren geerbt wurde? Es sorgt nicht für Atmosphäre und ist einfach überflüssig.

Wie kommt man zu einer abschließenden Beurteilung des Buches? Abschließend wohl schon mal gar nicht, aber vorläufig reicht es, sich zu fragen, "Befriedigt mich das, was ich gelesen hab?" Was sagt also das dumpfe Bauchgefühl? Es sagt "Hm, irgendwie :-P schon, aber ein bißchen auch nicht". "Der fernste Ort" ist sicher nicht perfekt, aber hat meiner Ansicht nach eine Menge Potential und die Atmosphäre, gerade auch am Ende, macht unheimlich viel gut. Ach, würde der Kehlmann mal ein etwas längeres Buch schreiben... Stattdessen wurde er sogar noch kürzer.

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