Sonntag, 5. November 2017

Alexander Solschenizyn - August Vierzehn

"August Vierzehn" ist ein dickes Buch. Im Titel trägt es bereits etwa eine Zusammenfassung des Inhalts. Es geht um den Moment des Kriegsbeginnes 1914 in Russland. Am Anfang und am Ende gibt es einige Kapitel, die sich mit gewöhnlichen russischen Bürgern bzw. Schichten beschäftigen. Immer aus Sicht einer der Personen der Schicht werden Aspekte der damaligen Atmosphäre aufgezeigt. Diese Aspekte widersprechen sich auch durchaus, geben damit aber nur die damals gespannte Lage in Russland wider. 

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Im Hauptteil des Buches geht es jedoch um die Schlacht von Tannenberg. Eine der ersten Schlachten des 1. Weltkrieges, ging sie in die Geschichte ein als vernichtende Niederlage des russischen Heeres gegen die deutsche Armee und als für die Russen böses Omen für den gesamten Krieg. Die Russen planten das im äußersten Nordosten Deutschland gelegene Ostpreußen von zwei Seiten (Süden und Nordosten) anzugreifen und verwendeten dafür zwei Armeen unter den Kommandos von General Samsonow und General Rennenkampff. Durch vielfache Mängel in Vorbereitung und Kompetenz des Führungsstabes sowie Ausrüstung der Armee und nicht zuletzt der gegenseitigen Abneigung der beiden Generäle ging die Schlacht verloren. Viel schlimmer: die fast komplette Armee von General Samsonow wurde vernichtet oder ging in Gefangenschaft, Samsonow erschoss sich auf dem Schlachtfeld. Dieser dramatische Ausgang kam nicht zuletzt aufgrund der gegenseitigen Abneigung der beiden Generäle zustande. Während Samsonow vom Süden aus energisch in den Rücken der deutschen Armee vorstoßen sollte, blieb Rennenkampff lethargisch und gewann kaum an Boden. Dadurch kam es zu einer kompletten Umschließung der Armee Samsonows und ihrer Vernichtung.

Im Buch werden aus den Perspektiven von Samsonow und seiner Soldaten (sowohl weitere Generäle als auch normale Soldaten) brillante Charakterstudien, die einen tiefen Einblick in die Vorgänge und Katastrophen während des Krieges ermöglichen. Obwohl in Romanform, sind die Fakten historisch verbürgt und müssen einen unglaublichen Rechercheaufwand nötig gemacht haben.

Alexander Solschenizyn (Link)
Spannend ist diese breite Betrachtung vor allem deswegen, da die Schlacht von Tannenberg als in den schicksalsträchtigen Verlauf des Krieges an der Ostfront eingebettete Schlacht für sich selbst schon dramatisch und tragisch genug war. Zudem entschied sich aber im Prinzip in dieser Woche sowohl im Osten als auch im Westen der Krieg für Deutschland schon. Eine eigentlich unglaubliche zugegebenermaßen bekannte historische Wahrheit ist: Nach den ersten vier Wochen des Krieges war die Chance zur Erreichung der deutschen Kriegsziele schon in sehr unrealistische Regionen gesunken. Dass es aufgrund der politischen Gemengelage sowohl auf der Seite der Zentralmächte als auch der Westmächte sowie Russland nicht möglich war, den Krieg hier abzubrechen, steht leider auf einem anderen Blatt.

Prinzipiell ist auf 750 Seiten ein großer Detailreichtum zu erwarten. Das kann natürlich gefährlich sein. Ein gewisses Grundinteresse für das Subjekt muss schon mitgebracht werden. Eine Karte im Buch ermöglicht ein besseres Verständnis der Schlachtengegend um die masurischen Seen. Doch ist es aus meiner Sicht unmöglich, inhaltlich mitzukommen, wenn man sich nicht extern ein wenig über die Truppenbewegungen informiert. Glücklicherweise sind diese in einschlägigen Internetseiten (nicht Wikipedia!) gut dokumentiert.

In seiner Beschreibung der Tragik dieser Woche ist Solschenizyn hier ein ausladendes, aber im Tiefen dann doch mitreißendes Werk gelungen, welches aufzeigt, wie abhängig Geschichte doch sowohl von grundsätzlichen Gesetzmäßigkeiten aber auch von Einzelpersonen bzw. Einzelentscheidungen ist. Als Teil seiner Reihe "Das rote Rad" ist "August Vierzehn" der Einstieg in die Verwandlung des bereits siechenden russischen Zarenreiches in die Umwälzungen während des Krieges bis zur Oktoberrevolution. Drei weitere Bücher beschäftigen sich dann damit. Ich bin gespannt, wie das zweite Buch ist. Dieses jedenfalls ist gleichermaßen historisch als auch menschlich geschrieben, dass es uneingeschränkt zu empfehlen ist.

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