Freitag, 14. Dezember 2012

Gabriel García Márquez - Chronik eines angekündigten Todes

García Márquez, Versuch Numero 2. Nach kläglichem Scheitern meinerseits an der undurchdringlichen Wand seiner trockenen neutralen Fabulierungskünste in "Hundert Jahre Einsamkeit" tut man das, was jeder tut, der sich in seiner Opponenten-Wahl gehörig vergriffen hat: Man nimmt sich einen bebrillten, kleinen Schwächling vor. Und, was soll ich sagen, ich hab's ihm gegeben.

Ein sehr passendes Cover. (Quelle)
Stilistisch ist "Chronik eines angekündigten Todes" aber nichtsdestotrotz ein García Márquez. In diesem Fall steht ja nun das Wort "Chronik" schon im Titel und als Chronist kam mir der Autor ja auch schon beim vorherigen Buch vor. Kaum mal erhascht man eine Gefühlsregung bei den Akteuren, welche - auch das typisch - in großer Anzahl vorhanden sind. Alles wird nacherzählt und weitergehende Reflexionen, sowohl der Akteure als auch des Autors, sucht man vergebens. Das, was das Buch meines Erachtens nach vor dem gedanklichen Scheiterhaufen rettet, ist, dass der erzählerische bzw. thematische Maßstab deutlich niedriger angesetzt ist als bei seinem Magnus Opum "Hundert Jahre Einsamkeit".

Es geht tatsächlich "nur" um den Tod eines jungen Mannes in einer Kleinstadt. Dieser hat sich der "Entehrung" einer jungen Frau vor ihrer Hochzeit schuldig gemacht. Bei Kenntnisnahme dieses Sachverhaltes liefert der betrogene Jungvermählte seine Angetraute beleidigt und geschockt wieder bei ihrer Familie ab. Die Mutter verprügelt das Mädchen und die Brüder schwören Rache am Entehrer. Die Einzelheiten der Tage vor und bis zum Tod werden nach und nach offenbar und es entsteht ein Bild einer Stadt, in der fast alle Bewohner wissen, was passieren wird, aber niemand etwas unternimmt. Auch ist nicht klar, ob nun der Entehrer wirklich der Schuldige ist oder ob das Mädchen jemanden schützen will.

Ich hab's geschafft, Sn. García Márquez! Ich hab ein Buch
von Ihnen erfolgreich durchgelesen. (Quelle)
Und aufgrund dieses griffigen Themas und der sehr erträglichen Auswälzung dessen ist "Chronik eines angekündigten Todes" ein Buch, welches man nicht genervt weglegen wird. Ehrlicherweise muss allerdings auch erwähnt werden, dass es aufgrund des bis kurz vorm Ende nicht sehr hohen Spannungsbogen nicht unbedingt jeden fesseln wird. Aber erstaunlicherweise gelingt es García Márquez mit seiner gefühlskalten Erzählweise trotzdem die bedrückende Atmosphäre zu erschaffen, die entsteht, wenn man einem Unglück offenen Auges zusieht und nichts machen kann, um selbiges zu verhindern. Fast ein wenig dem "Besuch der alten Dame" von Dürrenmatt ähnlich. Für die gedankliche Weiterbeschäftigung bleiben nach Abschluss des Buches einige Fragen offen (Lügt das Mädchen? Wer ist der Erzähler? Warum hat niemand eingegriffen?). Als Einstieg in die García Márquez'sche Erzählweise und -welt lohnt sich dieses Büchlein auf jeden Fall.  


Samstag, 1. Dezember 2012

Marlen Haushofer - Die Wand

Unbedingt mal klicken und reinlesen.
(Quelle)
Man stelle sich eine riesige, bis in den Himmel gehende Wand vor. Unzerstörbar, absolut transparent und mitten durch ein Alpental verlaufend. Weiterhin eine tüchtige Frau im mittleren Alter mit ihrem menschenliebenden Jagdhund. Die beiden übernachten in einer Hütte in den Alpen und sind morgens auf dem Weg ins Dorf im Tal. Auf einmal jault der vorgepreschte, mit Elan Haken schlagende Hund auf und rennt winselnd mit blutiger Schnauze zu seinem Frauchen zurück. Er ist natürlich direkt in die Wand gerannt. Die Frau, nach einem Moment ungläubiger Verwirrung und Angst ob dieses mysteriösen unüberwindbaren Dinges, betritt eine Anhöhe und sieht mit dem Fernglas ins Tal. Sie sieht einen Menschen. Doch dieser bewegt sich nicht mehr, er steht komplett stumm da. Eingefroren in der Bewegung, welche er in dem Moment durchführte, als anscheinend die Wand entstand.

  La Autorin Marlen Haushofer. (Quelle)                 
An diesem Punkt setzt die Erzählung an, geschrieben als Bericht nach etwa 2 Jahren (anhand von Tagebuch-Einträgen). Die Frau erzählt von ihrem Leben, gefangen und eingeschränkt auf das kleine Gebiet, in welchem sie sich frei bewegen kann. Dieses Leben wird  bestimmt von der notwendigen Arbeit zum Überleben und dem Austausch mit den Tieren, welche Zuflucht bei ihr suchen: der treue Jagdhund "Luchs", die Katze und die gefundene Kuh "Bella", welche mit ihrer Milch für die Erzählerin überlebenswichtig ist.

Kaum habe ich ein Buch so gerne gelesen und mich gleichzeitig gewundert, warum ich dieses eigentlich immer wieder in die Hand nehme. Es passiert ja kaum etwas, was der typischen Definition von "spannend" entspricht. Ist man am Anfang noch  interessiert, weil man wissen will, woher die Wand kommt und was mit der Erzählerin passiert - Kommt sie frei? Leben die anderen Menschen noch? - , so tritt dies mit zunehmender Dauer immer weiter in den Hintergrund. Also warum zur Hölle liest man es trotzdem? Es liegt zum einen an der relativ einfachen Sprache, welche ja auch zur Erzählerin passt (Tagebuch) und zum anderen an der Identifikation mit ihr. Außerdem lernt man die Tiere in ihren Eigenarten lieben und will einfach das Beste für diese kleine ungewöhnliche Familie.

Film gibt's jetzt auch. (Quelle)
Umso schockartiger kommen dann die Stellen im Buch, welche die Unglücke der Zukunft - vor allem der Tiere - vorausnehmen. Jedes Mal bricht einem das Herz ein Stück mehr, auch weil dies von der Erzählerin meist in neutraler, wenn nicht resignierter Form formuliert wird ("Seit ... tot ist, tue ich dies und das nicht mehr, weil es mich an ihn/sie erinnert."). Dies führt auch zu absoluter Unzufriedenheit meinerseits am Ende, welches einiges offen lässt und mit Ungerechtigkeit und Unglauben "glänzt".

Diese Unzufriedenheit ist aber nur möglich, weil "Die Wand" so intensiv geschrieben ist, dass man sich mit den Figuren identifiziert und ihnen nur gutes will. Und das ist ein Zeichen für ein fantastisches Buch.

Ein wenig ärgern tue ich mich aufgrund der unglaublich stumpfsinnigen Deutungen, welche ich bei Wikipedia lesen musste. Da wird von einem Buch gegen das "Patriarchat" geschrieben, von "radikaler Zivilisationskritik" und "Robinsonaden". Man muss sich echt wundern, warum alles zu Tode interpretiert werden muss. Reicht es nicht, dass hier jemand ein Buch geschrieben hat, welches eine Heldin (und tierische Helden) besitzt, welche man sympathisch findet und mit der/denen man mitfiebert?    

Dienstag, 27. November 2012

Christian Kracht - 1979

Hm, was war das jetzt? Das Buch lässt einen nach dem Zuklappen erstmal ratlos zurück. Die Intention des Herrn Kracht bleibt dem geneigten Ex-Leser verschlossen. Auch noch nach einigem Drübernachdenken und Wirkenlassen. Aber als offener Weltbürger, welcher (Teile der) moderne(n) Kunst gerade wegen ihres Die-Wahrheit-liegt-im-Auge-des-Betrachters-Credos schätzt, ist das erstmal nicht weiter schlimm. Die Frage ist also, welche Intention sehe ICH in diesem Werk? Gar nicht so einfach, dies auszudrücken. Fangen wir doch erstmal bei der Handlung an.

Ein Stein. Aha. Reduktion allerorten.
(Quelle)
Der Ich-Erzähler reist mit seinem Lebensgefährten Christopher 1979 am Vorabend der Islamischen Revolution nach Teheran. Dort nehmen die beiden noch ganz dandy-like alle bourgeoisen Späße und Vergnügungen wie Partys, Zerstörungswut, Drogen und drogeninduzierte Über-die-Welt-Gespräche mit. Christopher, dessen Status in der Beziehung (jetzt mal politisch unkorrekt ausgedrückt) der Mann ist, ist schon vorher krank und schwach. Außerdem verachtet er den Erzähler eigentlich nur noch. Dieser wiederum fügt sich in sein Schicksal. In seinem benebelten Nihilismus verletzt sich Christopher schwer während der Party. Er wird ins Krankenhaus gebracht und verstirbt dort. Der Erzähler rettet sich in seiner unterdrückten Trauer und den Wirren der beginnenden Revolution zu einer mysteriöse Bekanntschaft einer Party. Auch diese ist allerdings absolut von der Welt entrückt und erzählt dem Erzähler von einem Berg in China, um den er wandern müsse, um zur vollständigen Erleuchtung zu gelangen. Die Hauptfigur folgt wieder einmal diesem Rat und im zweiten Teil des Buches geht es um diese Unternehmung. Während dieser trifft er tibetische Mönche, welche das gleiche Vorhaben besitzen und fühlt sich in ihrer ego-losen Gemeinschaft wohler als je zuvor. Dann jedoch wird er von chinesischen Soldaten gefangen genommen und in ein Arbeitslager verfrachtet. Er wird schmerzhaft umerzogen. Aufgrund einer guter Prognose für ihn wird er zu leichteren Arbeiten auf ein Feld mitten in der chinesischen Wüste geschickt. Auch dort sind die Arbeiten allerdings unmenschlich hart. Der Erzähler aber arrangiert sich mit diesen Arbeiten und tut, was man ihm sagt. Das Ende deutet an, was man sich schon lange dachte: Er ist zufrieden mit dieser Situation.

Aufgrund dieser Zusammenfassung sollte klar sein, worin der rote Faden des Buches aus meiner Sicht besteht. Ja, es geht um die "Selbstaufgabe" und "Selbstauslöschung" (wie es auf dem Buchrücken steht). Aber ist das nicht zu kurz gegriffen? So, wie die Beziehung der beiden am Anfang beschrieben wird, hatte der Erzähler schon vorher viel Energie darauf verwandt, sein Ego klein zu halten. Die Auslöschung passierte nicht aufgrund der Erlebnisse im Buch, sondern ist ein Bestandteil der Persönlichkeit des Erzählers. Alles, was im Buch geschieht, ist im Prinzip eine hochdramatische (übertriebene?) Zuspitzung dieses Charakterzuges. Man kann das nun langweilig finden, denn das bedeutet, dass die Handlung eigentlich gar nicht wichtig bzw. austauschbar ist. Das ist absolut richtig. Doch dann kommen ja noch die Fähigkeiten des Autors ins Spiel.

     Why so serious? Ach stimmt, ist ja 'n seriöser Schrifsteller.    
(Quelle)
Kracht schreibt hauptsächlich äußerst karg in kurzen Sätzen und wenig Details. Wenn er diese einstreut, dann rein der Atmosphäre wegen. Und so sollte es auch sein. Sehr gelungen ist die chamäleonhafte Wandlung des Erzählstils des Erzählers. Redet er am Anfang noch ziemlich klischeebehaftet über seine Gefühle und seine Beobachtungen der Innenarchitektur der teuren Villa des Partygebers (er ist Raumausstatter und seine zur Schau gestellte Expertise nervt), so ändert sich der Stil im Mittelteil (am Berg) zu spirituell und am Ende (im Lager) zu absolut neutral und teilnahmslos. In jeder Lage vermag es Kracht, mit seiner Erzählweise eine dichte Atmosphäre zu erzeugen. Und das - wie gesagt - ohne Detailreiterei.

Abschließend sei noch anzumerken, dass der Knackpunkt für mich ist, dass dieses Werk sehr kurz ist und eigentlich nicht mehr als eine atmosphärische Übung darstellt. Die Frage ist: Besitzt es in seiner Reduktion auf die Beschreibung eines Charakterzuges Tiefgang? Denn viel mehr, aber auch nicht viel weniger, hat es ja nicht zu bieten.

Freitag, 23. November 2012

Jean-Paul Sartre - Die Kindheit eines Chefs


"Ich finde an ihm seine Sichtweise gut, dass Menschen selbst für sich verantwortlich sind und ihrem Leben eigenständig Sinn geben müssen." 


Der Mensch ist zum Lesen verurteilt.
(Quelle)
Seit mich jemand mit diesem Hinweis auf Jean-Paul Sartre brachte, wollte ich etwas von ihm lesen. Sartre bleibt allerdings ein Philosoph und sein 1000-seitiges Hauptwerk "Das Sein und das Nichts" wollte ich mir nun doch nicht antun. Also wurde nach kurzer Recherche "Die Kindheit eines Chefs" auf die rebuy-Liste gesetzt. Jetzt, deutlich später, war dieses Buch nun endlich verfügbar und damit meins.

Das gelesene Büchlein enthält fünf kurze Geschichten auf knapp unter 200 Seiten. Alle haben etwas mit seinem Credo "Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt" zu tun, was im Prinzip heißt, dass der Mensch sich von unbelebten Dingen wie einem Stein dadurch unterscheidet, dass er "handelt". Der Stein handelt nicht, er liegt stumm da. Der Mensch aber ist in seine Existenz geworfen - ungewollt - und hat immer eine Wahl. Er kann sich entscheiden, und zwar in jeder Situation. Und um seinem Leben wirklich einen Sinn zu geben, MUSS er das sogar. Er darf sich also nicht von den Dingen treiben lassen und sich Entscheidungen verweigern. Dann wäre er nichts anderes als ein "Ding", über das entschieden wird. Mir gefällt diese Sichtweise ungemein, weil sie zwar sehr trivial klingt, aber doch unglaublich optimistisch ist. Sie bedeutet, dass jeder den Sinn des Lebens finden kann und zwar auf seine eigene Weise. Und wenn es auf eine Weise nicht funktioniert, so ist ein anderer Ansatz auch in Ordnung. Dies hat den Anschein von Beliebigkeit, als ob dieser Maxime nach alles das Richtige ist. Doch gerade der Vorwurf des Sich-Treiben-Lassens trifft wohl auf alle Menschen zu, mal mehr und mal weniger.

Nie ohne Pfeife unterwegs: Die Pfeife von JPS (Quelle).
Die Geschichten erzählen von alltäglichen und einzigartigen Geschehnissen, z.B. vom Standhaftbleiben eines zur Erschießung verurteilten Widerstandskämpfers oder von einem Mann, welcher Menschen hasst und sich durch einen Mord zur Berühmtheit machen will, am Ende aber nicht konsequent genug ist, sich selbst zu erschießen. Die titelgebende Geschichte befasst sich mit der Sinnsuche eines jungen Menschens. Sein Weg zum Chef-Dasein ist familiär vorgezeichnet, aber er hat Schwierigkeiten, seinen Platz im Leben zu finden. Diese beruhen auf seinem Selbstbild, was im Endeffekt durch die Sicht der anderen auf ihn gebildet wird. Er sammelt vielfältige Erfahrungen und findet am Ende sein (scheinbares) Glück im fanatischen Antisemitismus.

Ein schönes Buch zur Verdeutlichung der Sartre'schen Philosophie. Auch als Schriftsteller - vor allem die letzten zwei Erzählungen sind klasse und atmosphärisch dicht verfasst - war dieser exzellent.

Donnerstag, 15. November 2012

Daniel Kehlmann - Der fernste Ort

Vorschnelle Urteile sind vorschnell ... Nee wirklich?

Jahaa! Fiel mir wieder auf, als ich "Der fernste Ort" ausgelesen hatte. Ein Gefühl von "Hm, das war's?" machte sich breit und ich ordnete diese Novelle gedanklich unter "meh" ein. Aber irgendwie war ich mit dem Ende nicht so ganz zufrieden und daher der Versuch, das Buch von hinten aufzuarbeiten. Und nach und nach wurde mir klar, welch' vielfältiges Deutungspotential das Buch besitzt. Ganz verwegene wären sicher versucht, die gesamte Handlung mit allen Akteuren und Aktionen symbolistisch zu deuten, d.h. in allen Details des Buches etwas anderes zu vermuten als das, was diese eigentlich zu sein scheinen. Nun ja, nicht übertreiben!

Guter Body für 'nen Versicherungsspacko.
(Quelle)
Ein ruhiger, recht mittelmäßiger Versicherungsangestellter (Julian) täuscht seinen Ertrinkungs-Tod vor, um ein neues Leben zu beginnen. So ganz durchdacht hat er das nicht und wo er hin will, weiß er auch nicht. Kehlmann führt uns durch Kindheit und Jugend des Hauptcharakters und zeigt, dass Julian schon immer nicht wusste, wie er in dieses Leben gehört. Das ziemlich biedere Leben bestehend aus gerade so geschafftem Abitur, verrissener Abschlussarbeit über einen unbekannten Philosophen und ungewollter Schwangerschaft mit anschließendem Kindstod der ihm öfters mal fremd vorkommenden Freundin führt ihn in seine Stelle als Versicherungsmathematiker. Auch dort findet er sich mehr schlecht als recht zurecht (ha!). Sein Entschluß, zu verschwinden ist sehr verständlich.

So weit, so normal. Was macht das Buch lesenswert? Klare Antwort: die surrealistische Atmosphäre. Ein kompletter Gegensatz zur langweiligen Alltagswelt. Über die Geschichte legt sich ein bleischwerer, trüber Nebel, welcher zu Bedrücktheit, zu Hoffnungslosigkeit und unterdrückter Verzweiflung führt. Das surrealistische daran sind die vielfach verwendeten falschen Spiegelbilder, die knarzenden Dielen, die spärlich beleuchteten Räume, die sich nach und nach aufbauenden Gesichter und die völlige Selbst-Entfremdung, welcher Julian oft ausgesetzt ist. Weiterhin wird das Motiv der Wiederholung eingesetzt. Personen tauchen aus dem Nichts in anderen Rollen und an unwahrscheinlichen Orten auf, sogar Handlungsstränge werden kaum verändert neu aufgesetzt. Das alles wird einem erst nach dem Lesen so wirklich klar. Ein gutes Zeichen eigentlich.

Ein wenig bieder sieht er ja schon aus.
Autobiographisch? (Quelle)
Doch diese verwendeten Stilmittel bergen eben auch Gefahren. So bleiben ziemlich viele lose Enden. Man hat ein wenig das Gefühl, als seien einige dieser Stilistiken zum Selbstzweck eingesetzt. Oder ist man zu faul, um diese vernünftig zu deuten? Apropos Faulheit: "Julian fühlte sich komisch. Irgendwas stimmte nicht." Ja, "irgendwas" ist oft der Grund für irgendwas. Das zieht sich durch das ganze Buch. Irgendwas ist immer faul. Auch das Syndrom der ausschweifenden Beschreibung von noch so banalen Details trübt ein wenig den guten Eindruck. Warum soll es mir etwas bringen, zu wissen, dass der Schrank im Raum aus Eichenholz ist und vor 50 Jahren geerbt wurde? Es sorgt nicht für Atmosphäre und ist einfach überflüssig.

Wie kommt man zu einer abschließenden Beurteilung des Buches? Abschließend wohl schon mal gar nicht, aber vorläufig reicht es, sich zu fragen, "Befriedigt mich das, was ich gelesen hab?" Was sagt also das dumpfe Bauchgefühl? Es sagt "Hm, irgendwie :-P schon, aber ein bißchen auch nicht". "Der fernste Ort" ist sicher nicht perfekt, aber hat meiner Ansicht nach eine Menge Potential und die Atmosphäre, gerade auch am Ende, macht unheimlich viel gut. Ach, würde der Kehlmann mal ein etwas längeres Buch schreiben... Stattdessen wurde er sogar noch kürzer.

Samstag, 10. November 2012

Alben-Reviews - Mini-Edition - Folge 4


So, genug Stoff für einen neuen Musikpost hat sich nun angesammelt. Es war ja auch ein vielversprechender Herbst, der mit echten Perlen aufwartete. Zumindest vom Namen und der Erwartungshaltung her. Leider muss konstatiert werden

- dass qualitätsmäßig sichere Bänke sich nun doch recht morsch anhören (Neurosis)
- dass großspurigen Schreihälsen die Shouts im Halse stecken bleiben und (Stone Sour)
- dass selbst vollständig rekonvaleszente Drogenopfer Musik machten, die nach totalem Rückfall klingen (John Frusciante)

Insgesamt überwiegt also leider die Enttäuschung. Logischerweise gibt es aber auch gutes zu vermelden. Damit soll selbstverständlich angefangen werden.

Neil Young - Psychedelic Pill (Quelle)
Neil Young liefert mit "Psychedelic Pill" Album Numero 8463 ab. Alles klingt wie immer und das ist auch genau richtig so. Wer sonst würde ein Album mit einem 27-minütigen Song einläuten? Und dann später noch zwei 15-20-Minüter hinterherschieben? Voll mit seinem melodiösen brüchigen Gesang und ohrenbetäubenden Feedback-Gitarren. Neil Young ... da weiß man, was man hat. (Meistens)

Deftones - Koi No Yokan (Quelle)
Auch das neue Album der Deftones "Koi No Yokan" liefert mehr vom selben. Doch kaum eine Band beherrscht das Yin und Yang der Spannungs- und Gefühlsbögen so gut wie die Deftones. Brachiale Rocknummern münden in hypnotische Midtemposongs, welche Platz machen für äußerst melancholische Balladen (natürlich versetzt mit den obligatorischen Gefühlsausbrüchen). Ganz einfach große Kunst, was uns die Kalifornier da vorsetzen.

Soundgarden - King Animal (Quelle)
"Das Beste erhoffen, das Schlimmste befürchten" war der Leitspruch bzgl. des neuen Soundgarden-Albums "King Animal". Nun, wie es sich für eine der ersten Indie-Bands (ja, das war früher Indie!) gehört, halten die sich nicht dran und machen ihr eigenes Ding. Will heißen, das Album ist nicht so ganz Fisch und nicht so ganz Fleisch. Eher so ein Mischmasch aus Pute (es gibt ein paar ganz originelle Songs, ein paar gute Rocker und die Produktion ist ausgezeichnet) und Tofu (es ist halt alles nicht so das "Wahre" bzw. man hat sich wohl insgeheim was noch besseres erwartet). Schmeckt schon ganz passabel, aber so ein Rindernackensteak ist dann doch eine ganz andere Liga. Trotzdem toll, mal wieder Chris Cornell's Stimme zu hören.

Placebo - B3 (Quelle)
Nicht unerwähnt soll auch noch "B3" von Placebo bleiben. Joar, kann man zum Großteil hören. Vermisse nur die tiefen Ultra-Hirsch-Röhr-Shouts von früher (vom ersten Sänger) und natürlich fehlen aber voll auch noch die geilen Triangel-Melodien. Ansonsten geht das schon klar.

So, nun zu den Enttäuschungen. Das ganze ein wenig ausführlicher.

Neurosis - Honor Found In Decay (Quelle)
Neurosis sind immer noch Großmeister des Atmosphäre- und Spannungsaufbaus und die drei megafetten Brüllstimmen der Sänger haben trotz vielfacher Beanspruchung nicht gelitten (und das, obwohl einer der drei Grundschullehrer ist... hm, vllt kann er auch deshalb so gut schreien). Aber auf "Honor Found In Decay"  fehlen meines Erachtens nach die neuen kreativen Ideen, die Parts, von denen man nie dachte, dass sie kommen und die Melodien, die einfach, aber wirkungsvoll sind. Ja, es gibt zwei, drei richtig gute Songs auf dem Album. Aber auch bei denen kann man meist vorhersagen, wann die lauten Gitarren einsetzen und wann der ruhige Break einsetzt. Hätte nie gedacht, dass ich so etwas mal über ein Neurosis-Album schreiben würde, damn.

Stone Sour - Hoise Of Gold & Bones Part I (Quelle)
Von Stone Sour bin ich echt ein wenig enttäuscht. Was haben die sich das Maul zerrissen, dass "House Of Gold And Bones" (Part I) (!) ein Mix aus "The Wall" von Pink Floyd und "Dirt" von Alice In Chains wird. Ein Konzeptalbum megalomanischen Ausmaßes. Die ersten veröffentlichten Tracks stimmten positiv. Gute Produktion und sehr sehr ordentliche Rocker, gesungen von einem stimmlich deutlich gereiften Corey Taylor. Dummerweise waren diese drei, vier Tracks die wirklich guten Songs. Gerade die "gefühlvollen" Lieder, welche auf einem Konzeptalbum zwangsläufig auftauchen müssen, sind dermaßen verkitscht und triefen vor Pathos, dass es echt nicht mehr lustig ist. Würg. Und das ist eben der Unterschied zu "The Wall". Dieses Album hatte gute Rocker UND gute Balladen.

John Frusciante - PBX Funicular Intaglio Zone (Quelle)
Zu John Frusciante ist kaum was zu sagen. Musikalisch ausgeflippt war er schon immer und das vorherige Album ist trotz Freak-Faktor eins der besseren der letzten Jahre. Aber was auf "PBX Funicular Intaglio Zone" zu hören ist, sprengt jeglichen Rahmen. Das klingt nach LSD-Trip mit XTC-Einwurf alle zwanzig Sekunden. Und währenddessen schlägt dir jemand mit nem Vorschlaghammer auf den Hinterkopf, bohrt dir ein Loch in den Rücken und rasiert dir mit einer Kettensäge die Beine ab. Jetzt hab ich doch was gesagt *augenroll*

Montag, 15. Oktober 2012

Salman Rushdie - Grimus

Keine satanischen Verse! Ich schwör!
(Quelle)

Who wants to live forever? Fragte ja schon Seine Majestät Freddy Mercury vor 30 Jahren. Dieses verlockende Angebot macht jedenfalls Grimus, ein anscheinend allmächtiger Mensch, bestimmten von ihm ausgewählten Menschen. Stimmen Sie zu, werden sie danach Teil einer Gemeinschaft von Unsterblichen auf einer von ihm geschaffenen Insel. Doch Grimus ist nicht der allmächtige und gutmütige Herrscher, der er scheint. Gleichzeitig begleiten wir die Hauptperson des Buches, den unsterblichen Indianer Flapping Eagle. Er kommt auf der Insel an, um seine verschwundene Schwester zu suchen und um Sinn in seinem vormals ziel- und aufregungslosen Leben zu finden. Er lernt den Effekt, den Grimus auf die Bürger der Insel hat, kennen und ist hin- und hergerissen zwischen dem scheinbar komfortablen Leben in der Gemeinschaft und seinen Zweifeln an Grimus.

Ein Buch voller Widersprüche. Schon allein der Fakt, dass es mir schwer fiel, den Inhalt des Buches irgendwie sinngerecht in wenige Sätze zu verpacken, zeigt, dass es ungemein viele Ideen beherbergt. Das heißt aber gleichzeitig nicht, dass "Grimus" ein schwer zu lesendes oder intellektuell aufgeblähtes Buch ist. Ganz im Gegenteil, die wenigen Stellen, in welchen philosophiert und wild assoziiert wird, kratzen eher an der Oberfläche. Dies ist im Prinzip für das gesamte Buch zu konstatieren. Zaghafte Ansätze von Scherzen, mal hier und da ein Satz, welcher schockierend sein soll... "Grimus" ist ein light-weight-Fantasy-Buch. Leicht und locker zu lesen, mit einer sympathischen Hauptfigur, interessanten Verwebungen von östlichen und westlichen Mythologien und recht holzschnittartigen Charakteren.

Aber etwas satanisches hat er schon an sich! Augenbrauen!
(Quelle)
Empfehlen kann ich es trotzdem oder gerade deswegen. Zum Nachdenken regt es nicht gerade an, dafür sind zu viele ziellose Gedankenstränge geknüpft worden, aber zum Staunen brachte es mich dennoch. Dies aufgrund der erfrischenden Mixtur von alten und neuen Ideen, westlichen und östlichen Einflüssen und Oberflächlichkeit und (scheinbarer) Tiefe. Es ist übrigens das Erstlingswerk von Salman Rushdie und dafür ist es ganz nett. Das trifft es wohl am besten. Ganz nett.