Donnerstag, 31. Januar 2013

Alben-Reviews - Mini-Edition - Folge 5

Viel neues musikalisches Kulturgut hat sich seit dem letzten Review-Post angesammelt. Vieles davon hat elektronische Komponenten. Als da wären:

UNKLE - Psyence Fiction (Quelle)
Ein ziemlich cooles Alternative-Electro-Mischmasch-Album von UNKLE, welches auf den Namen "Psyence Fiction" hört. Das Gespann bestand zur Veröffentlichung (1998) aus dem Gründer James Lavelle und DJ Shadow. Deren erworbene Underground-Meriten verhalfen ihnen zu Gaststars wie Thom Yorke, Richard Ashcroft (The Verve), Mike D von den Beastie Boys und Jason Newsted von Metallica. Raus kommt eine schwer zu beschreibende Mischung aus Alternative Rock, Hip Hop und Samples, die von energiegeladen über melancholisch zu chillig geht. Vor allem die folgenden Tracks geben einen guten Einblick: "Rabbit In Your Headlights", "Bloodstain" und "Lonely Soul".

WhoMadeWho - Brighter (Quelle)
Eine absolute Neuentdeckung für mich sind WhoMadeWho. Ihr Album "Brighter" aus dem Jahr 2010 besticht durch coole basslastige (welcher allerdings schneidend scharf klingt) Produktion, drunter wummernden Disco-Beats (klingt geiler als es sich hier anhört), kreative Songarrangements mit QOTSA-ähnlichem Gesang. Na, klingt das nicht absurd? Yep. Und deswegen regelt es auch. Danke an Mark Lanegan (von QOTSA), dessen Cover vom ziemlich superben "Below The Cherry Moon" mich erst auf diese Dänen aufmerksam gemacht hat. Weiterhin anzuhören sind: "Running Man" und "The Sun". Jetzt wird mir erst klar, woher Lanegan die Inspiration für sein letztes Meisterwerk "Blues Funeral" gezogen hat.

Photek - Avalanche EP (Quelle)
Schon eine ganze Weile ein Favorit von mir ist Photek. Seine EP "Avalanche" (muahaha) ist im Downtempo-Bereich angesiedelt und hört sich am besten in voller Dunkelheit. Der verzerrte Bass und die stampfenden Beats erzeugen gerade in diesen niederen Temporegionen eine Soundwalze, welche durch Samples angereichert werden, die teils sehr futuristisch klingen. Eine sehr coole Kombination meiner Ansicht nach. Sein letztes Album "KU:PALM" folgt diesem Rezept nicht mehr, hat aber auch einiges zu bieten. So höre man folgendes, um sich selbst zu überzeugen: "Avalanche" (EP), "Slowburn" (EP) und "Sleepwalking" (Album).

Flying Lotus - Until The Quiet Comes
(Quelle)
Noch sehr viel psychedelischer und verdrogter kommt Flying Lotus her. Aber nicht im Cypress-Hill-Style. Dieses Video gibt einen guten Einblick in den Geisteszustand, in dem man sein muss, um an "Until The Quiet Comes" Gefallen zu finden. Ich muss zugeben, nicht alle Songs gefallen mir, aber allein für die guten lohnt es sich, dieses Album zu hören. 23 Uhr abends auf dem dunklen Rücksitz eines geschmeidig über die Autobahn gleitenden Autos wird der Psycho-Faktor natürlich nochmal vervielfacht. Ein wenig Einhörzeit war definitiv vonnöten, aber einmal auf dem Trip knallt es richtig. Tipps: "The Nightcaller", "me Yesterday//Corded" und "Getting There".

Modeselektor - Monkeytown (Quelle)
Zu guter Letzt gibt es noch die Bassmonster von Modeselektor. Ihr Album "Monkeytown" macht einfach Spaß, ist aber gleichzeitig hochgradig relaxt. Wer Modeselektor-Songs hört und einen guten Subwoofer sein Eigen nennen darf, sollte mit einem schnell folgenden Polizeieinsatz rechnen. "Wo brennt's denn, Herr Wachtmeister?" "Ihre Nachbarn beschweren sich wegen umgestürzten Möbeln und abbröselndem Putz." Ohne Scheiß: während alle anderen Instrumente auf Normallautstärke tönen, sorgt der Bass für wandernde Tische und durchgekneteten Muskelkater. Warum schreiben die aber auch so gute Songs? Warum sind die ersten 6 Songs allesamt anders und allesamt richtig richtig gut? Warum kann ich mich mit Gerappe anfreunden? Tipps: "Blue Clouds", "Shipwreck" und "German Clap".

Dienstag, 29. Januar 2013

Clemens Meyer - Die Nacht, Die Lichter

Skeptisch war ich. Im Voraus. Clemens Meyer, ein junger Schriftsteller mit gewissem Hype-Faktor. Von "Als wir träumten" schwärmten viele und "Die Nacht, Die Lichter" wurde unisono durchempfohlen. Zumindest von Studenten und Hipstern ;-) Grund genug also, vorsichtig zu sein.

Nacht und Lichter: Ständige
Wegbegleiter der Stories. (Quelle)
Nun, das Verdikt lautet: "Die Nacht, Die Lichter" ist tatsächlich ein sehr gutes Buch. Wobei sein Untertitel "Stories" schon zeigt, dass wir es nicht mit einem Roman, sondern mit einer Sammlung von Geschichten zu tun haben. Der Schreibstil, die Erzählweise und die Stories selber sind erstaunlich ausgewogen und moderat. Meyer verzichtet dankenswerterweise darauf, (künstlerische) "Grenzen auszuloten". Es werden sich bis auf kleine Ausnahmen keine "superkrassen"  "abgespaceten" Stories finden. Einfühlsam, aber nicht kitschig präsentieren die meisten Geschichten Menschen aus den sozial niederen Schichten.

Aber man hat es weiß Gott nicht mit einer Kollektion von Losergeschichten zu tun. Dies würde auch sehr schnell langweilig. Nein, das Milieu, die erzeugte Atmosphäre und die "Moral" unterscheidet sich von Geschichte zu Geschichte genug, um nie Langeweile aufkommen zu lassen. Die Trinker, die Ausländer, die Alten, die Knastis, die Künstler, die Schichtarbeiter ... alle haben sie ihre eigene Story. Nicht immer nehmen die Geschichten ein gutes Ende, aber manchmal schon. Oder was man dafür hält.

Teilweise deutet Meyer sein weiterführendes erzählerisches Talent an. Beispielsweise direkt in der ersten Geschichte, in welcher wilde Story- und Zeitsprünge vollzogen werden, welche anfangs sehr verwirren. Anders aber als beim Einsatz dieses Stilmittels zum Selbstzweck hat man hier eher das Gefühl, dass nochmaliges Lesen Klarheit bringt und tiefere Einsichten in die Geschichte ermöglicht.

Er sieht gefährlich normal aus, der Clemens.
(Quelle)
Auch die öfters mal vorkommenden Referenzen auf Leipzig (und auch Halle, Bitterfeld und Köthen *g*) werden gerne gelesen und verarbeitet. Dadurch nämlich wird die Identifikation leichter und die Bindung an die Geschichte enger. "Ach und hier meint er wohl die Eisenbahnstraße ... und hier ist er vielleicht im Westin oder auf dem Weisheitszahn" ... Nettes Gefühl.

Zusammengefasst ist "Die Nacht, Die Lichter" ein sehr gutes Werk, welches durch Harmonie zwischen Erzählweise, den Stories und der Lesbarkeit besticht. Schwächen finden sich eher mit der Lupe. Wer drogeninduzierte Avantgarde-Stories erwartet, welche eine Moral auf der dritten Meta-Ebene propagieren, wird wohl enttäuscht werden. "Die Nacht, die Lichter" ist der Blues unter den Büchern: Von einfachen Emotionen getrieben, nicht sehr kompliziert, aber krass wirksam.

Montag, 7. Januar 2013

Javier Marías - Morgen in der Schlacht denk an mich

Nicht unbedingt ein Kriegsroman. (Quelle)
Javier Marías ist ein äußerst gefährlicher Mann. Denn er vermag es, seinem Leser auf so unheimlich treffsichere Art aus der Seele zu schreiben, dass man dies nichts anderes als "Hexerei" nennen kann. Kraft der Logik soll angenommen werden, dass diese Beobachtung für viele Menschen (a.k.a. "seine Leser") zutrifft. Nun angenommen, dass verschiedene Menschen verschiedene Seelen haben, dann sollte dies doch eigentlich unmöglich sein.

So richtig erklären kann ich es auch nicht, aber so viele "Ja, genau! So ist es!"-Stellen hab ich in einem Buch noch nie erlebt. Davor nur bei "Mein Herz so weiß" von ... ach ja, Javier Marías. Nun gut, das Buch beschäftigt sich nicht mit den Laichzyklen von Süßwasserfischen, sondern es geht eben wie immer bei Romanciers des Schlages Marías um die großen Themen wie Liebe, Tod und Verrat. Insofern wird da jeder einen Ansatzpunkt haben. Doch es bedarf eines Meisters wie dem Autor um diese Gebiete sowohl inhaltlich als auch storytechnisch relevant zu bearbeiten. Das heißt, kontemplative Gedanken dazu sind gut und schön, aber dahinter darf die Geschichte nicht zurückbleiben.

Mit einem unverwechselbaren Stil verwebt Marías eine dunkle Story mit den Gedanken der Hauptfigur. Diese teilt dem Leser durchweg seine Lebenseinsichten mit, welche so einleuchtend sind, dass es teilweise erschütternd ist. Worum geht es? An dieser Stelle sei nur der erste Satz zitiert:

"Niemand denkt je daran, dass er irgendwann eine Tote in den Armen halten könnte..."

Schon ein wenig älter als bei "Mein Herz so weiß". (Quelle)
Wie auch bei "Mein Herz so weiß" wird also direkt mit der Tür ins Haus gefallen. Die Parallelen enden nicht dort. Es besteht wieder ein Wechsel zwischen Alltags- und Rückblicksszenen der Hauptfigur und Szenen, welche die Story vorantreiben. Doch was beim Vorgänger noch ein wenig holprig war, ist dieses Mal sehr viel besser gelöst. Jede der Szenen ist auf ihre eigene Art und Weise spannend. Das Buch strotzt von langen Sätzen, welche oft als Strom von Gedanken entstehen. In den meisten Fällen sind diese jedoch gut zu lesen. Die abermalige (intelligente) Verquickung mit Shakespeare (Titel und lange Zitate) verleiht dem Roman weitere Tiefe.

Nicht ganz so zufrieden bin ich wieder einmal mit dem Ende, was ein wenig konstruiert wirkt (zumindest von der Story her). Doch ich bin geneigt, dem den gleichen Grad von Wichtigkeit zuzusprechen wie der Story selbst: nicht zu wichtig. Denn Spaß macht das Buch nicht vorrangig wegen der Geschichte (das auch!) sondern aufgrund der dichtgepackten, dunklen Atmosphäre und dem sehr hohen Identifikationspotential auf emotionaler Ebene. Das nächste JM-Buch kommt bestimmt!

Freitag, 28. Dezember 2012

Timur Vermes - Er ist wieder da

Adolf Hitler, Führer a.d., erwacht 2011 in Berlin und startet eine erfolgreiche Fernsehkarriere, in welcher er (in diesem Zeitalter der ungestraften Ironie) seine Hetze und Weltmachtsphantasien hemmungslos ausleben darf. Denn kein Mensch glaubt natürlich, dass dies der echte Adi ist.

Kostet in Dtl. 19,33 €! Echt! (Quelle)
Fast-Food-Buch (oder Fast-Read?) beschreibt meine Haltung zu diesem derzeitigen Bestseller höchst treffend. Die durchschnittliche Verschlingdauer wird im unteren Tagebereich liegen, oberflächliche Geschmacksnerven werden zielsicher aktiviert und die Sättigung durch das Konsumierte währt nur begrenzt.

Wir haben also positive Dinge (man liest gern, versteht schnell und ist amüsiert) und negative Dinge (nach Beendigung des Buches hat man nicht das Gefühl, etwas substanzhaltiges gelesen zu haben). Verblasst denn dieser Einwand nicht im Angesicht der genannten, für das Buch sprechenden Tatsachen? Für mich persönlich auf gar keinen Fall. Denn ein Gefühl des Betrogen-Worden-Seins stellt sich ein, wenn man merkt, dass dieses Werk eigentlich wenig Substanz besitzt, aber ohne Umschweife Gegenteiliges behauptet (z.B. auf der Rückseite).

Tucholsky sagte: "Satire darf alles". Ich sage, dass aber deswegen nicht alles, was Leute oder Begebenheiten der Lächerlichkeit preisgibt, Satire - genauer - gute Satire ist. In "Er ist wieder da" werden alle Klischees, welche auf das "moderne" Deutschland zutreffen, bedient (nicht, dass von diesen nicht einige der Wahrheit entsprechen). Unfähige Politiker, verweichlichtes und kulturloses Volk, hässliche Architektur, Wendehälse allerorten, unerzogene faule Kinder. Auch jegliches Führerklischee wird aufgefahren. Denn Hitler war ja genauso, wie die Switch-Parodie ihn darstellt. Kalt und hart in seinen Überzeugungen, bemüht (=arm) in der Sprache und zu aufgeblasen, zu merken, dass ihn keiner für den echten Führer hält, sondern für einen Schauspieler. Wie allerdings bei Switch schmunzelt bzw. lacht man dann doch einige Male. Auch und gerade bei rassistischen und geschmacklosen Passagen, bei denen gewissen Ich-habe-einen-politisch-korrekten-Stock-im-Arsch-Rezensenten (siehe Amazon) das Lachen im Halse stecken bleibt.

Im Führerbunker fotografiert? (Quelle)
Das, was weitere Substanz vorgaukeln soll - nämlich der Fakt, dass Hitler auch 2011 Karriere macht - ist hingegen konstruiert und baut auf die Kurzsichtigkeit des Lesers. Ja, ein guter Hitler kann in der hiesigen Comedy-Landschaft Erfolg haben. Ja, die Produktionsfirma, welche durch ihn Erfolg hat, wird sich auch dazu hinreissen lassen, "Sieg Heil" zu rufen. Und ja, Jugendliche werden den Youtube-Hitler "krass" finden und Arrivierte werden ihn als Emporkömmling bar jeder Erfahrung und Gefahr abtun. Christoph Maria Herbst (wie passend!) findet auf der Rückseite, dass "bei allem Lachen ein Rest Gänsehaut bleibt". Es bleibt also ein undefiniertes Gefühl, dass das alles lustig, aber irgendwie doch nicht lustig ist. Und diese Empfindung ist alles, was hier Substanz erzeugen soll. Das reicht mir persönlich einfach nicht.

Zu allem Überfluss windet sich der Autor reichlich eierlos um die Judenfrage. Sie wird angeschnitten, aber kaum weiter erörtert. Anscheinend war diese dann doch zu heiß. Dabei ist gerade jenes doch ein, wenn nicht das wichtigste Alleinstellungsmerkmal Hitler's. An diesem Punkt müsste sich doch die heutige Gesellschaft messen lassen, wenn man Vergleiche mit dem Deutschland der damaligen Zeit anstellt.

Zusammengefasst: "Er ist wieder da" ist ganz nett und manchmal treffend in seiner Beschreibung der Politlandschaft des heutigen Deutschlands, wenn auch sehr oberflächlich. Punkte dafür. Abzüge gibt es für den absolut nicht erfüllten Anspruch, ein ernsthaftes Thema wie Hitler satirisch und historisch vergleichend zu behandeln.    

Freitag, 14. Dezember 2012

Gabriel García Márquez - Chronik eines angekündigten Todes

García Márquez, Versuch Numero 2. Nach kläglichem Scheitern meinerseits an der undurchdringlichen Wand seiner trockenen neutralen Fabulierungskünste in "Hundert Jahre Einsamkeit" tut man das, was jeder tut, der sich in seiner Opponenten-Wahl gehörig vergriffen hat: Man nimmt sich einen bebrillten, kleinen Schwächling vor. Und, was soll ich sagen, ich hab's ihm gegeben.

Ein sehr passendes Cover. (Quelle)
Stilistisch ist "Chronik eines angekündigten Todes" aber nichtsdestotrotz ein García Márquez. In diesem Fall steht ja nun das Wort "Chronik" schon im Titel und als Chronist kam mir der Autor ja auch schon beim vorherigen Buch vor. Kaum mal erhascht man eine Gefühlsregung bei den Akteuren, welche - auch das typisch - in großer Anzahl vorhanden sind. Alles wird nacherzählt und weitergehende Reflexionen, sowohl der Akteure als auch des Autors, sucht man vergebens. Das, was das Buch meines Erachtens nach vor dem gedanklichen Scheiterhaufen rettet, ist, dass der erzählerische bzw. thematische Maßstab deutlich niedriger angesetzt ist als bei seinem Magnus Opum "Hundert Jahre Einsamkeit".

Es geht tatsächlich "nur" um den Tod eines jungen Mannes in einer Kleinstadt. Dieser hat sich der "Entehrung" einer jungen Frau vor ihrer Hochzeit schuldig gemacht. Bei Kenntnisnahme dieses Sachverhaltes liefert der betrogene Jungvermählte seine Angetraute beleidigt und geschockt wieder bei ihrer Familie ab. Die Mutter verprügelt das Mädchen und die Brüder schwören Rache am Entehrer. Die Einzelheiten der Tage vor und bis zum Tod werden nach und nach offenbar und es entsteht ein Bild einer Stadt, in der fast alle Bewohner wissen, was passieren wird, aber niemand etwas unternimmt. Auch ist nicht klar, ob nun der Entehrer wirklich der Schuldige ist oder ob das Mädchen jemanden schützen will.

Ich hab's geschafft, Sn. García Márquez! Ich hab ein Buch
von Ihnen erfolgreich durchgelesen. (Quelle)
Und aufgrund dieses griffigen Themas und der sehr erträglichen Auswälzung dessen ist "Chronik eines angekündigten Todes" ein Buch, welches man nicht genervt weglegen wird. Ehrlicherweise muss allerdings auch erwähnt werden, dass es aufgrund des bis kurz vorm Ende nicht sehr hohen Spannungsbogen nicht unbedingt jeden fesseln wird. Aber erstaunlicherweise gelingt es García Márquez mit seiner gefühlskalten Erzählweise trotzdem die bedrückende Atmosphäre zu erschaffen, die entsteht, wenn man einem Unglück offenen Auges zusieht und nichts machen kann, um selbiges zu verhindern. Fast ein wenig dem "Besuch der alten Dame" von Dürrenmatt ähnlich. Für die gedankliche Weiterbeschäftigung bleiben nach Abschluss des Buches einige Fragen offen (Lügt das Mädchen? Wer ist der Erzähler? Warum hat niemand eingegriffen?). Als Einstieg in die García Márquez'sche Erzählweise und -welt lohnt sich dieses Büchlein auf jeden Fall.  


Samstag, 1. Dezember 2012

Marlen Haushofer - Die Wand

Unbedingt mal klicken und reinlesen.
(Quelle)
Man stelle sich eine riesige, bis in den Himmel gehende Wand vor. Unzerstörbar, absolut transparent und mitten durch ein Alpental verlaufend. Weiterhin eine tüchtige Frau im mittleren Alter mit ihrem menschenliebenden Jagdhund. Die beiden übernachten in einer Hütte in den Alpen und sind morgens auf dem Weg ins Dorf im Tal. Auf einmal jault der vorgepreschte, mit Elan Haken schlagende Hund auf und rennt winselnd mit blutiger Schnauze zu seinem Frauchen zurück. Er ist natürlich direkt in die Wand gerannt. Die Frau, nach einem Moment ungläubiger Verwirrung und Angst ob dieses mysteriösen unüberwindbaren Dinges, betritt eine Anhöhe und sieht mit dem Fernglas ins Tal. Sie sieht einen Menschen. Doch dieser bewegt sich nicht mehr, er steht komplett stumm da. Eingefroren in der Bewegung, welche er in dem Moment durchführte, als anscheinend die Wand entstand.

  La Autorin Marlen Haushofer. (Quelle)                 
An diesem Punkt setzt die Erzählung an, geschrieben als Bericht nach etwa 2 Jahren (anhand von Tagebuch-Einträgen). Die Frau erzählt von ihrem Leben, gefangen und eingeschränkt auf das kleine Gebiet, in welchem sie sich frei bewegen kann. Dieses Leben wird  bestimmt von der notwendigen Arbeit zum Überleben und dem Austausch mit den Tieren, welche Zuflucht bei ihr suchen: der treue Jagdhund "Luchs", die Katze und die gefundene Kuh "Bella", welche mit ihrer Milch für die Erzählerin überlebenswichtig ist.

Kaum habe ich ein Buch so gerne gelesen und mich gleichzeitig gewundert, warum ich dieses eigentlich immer wieder in die Hand nehme. Es passiert ja kaum etwas, was der typischen Definition von "spannend" entspricht. Ist man am Anfang noch  interessiert, weil man wissen will, woher die Wand kommt und was mit der Erzählerin passiert - Kommt sie frei? Leben die anderen Menschen noch? - , so tritt dies mit zunehmender Dauer immer weiter in den Hintergrund. Also warum zur Hölle liest man es trotzdem? Es liegt zum einen an der relativ einfachen Sprache, welche ja auch zur Erzählerin passt (Tagebuch) und zum anderen an der Identifikation mit ihr. Außerdem lernt man die Tiere in ihren Eigenarten lieben und will einfach das Beste für diese kleine ungewöhnliche Familie.

Film gibt's jetzt auch. (Quelle)
Umso schockartiger kommen dann die Stellen im Buch, welche die Unglücke der Zukunft - vor allem der Tiere - vorausnehmen. Jedes Mal bricht einem das Herz ein Stück mehr, auch weil dies von der Erzählerin meist in neutraler, wenn nicht resignierter Form formuliert wird ("Seit ... tot ist, tue ich dies und das nicht mehr, weil es mich an ihn/sie erinnert."). Dies führt auch zu absoluter Unzufriedenheit meinerseits am Ende, welches einiges offen lässt und mit Ungerechtigkeit und Unglauben "glänzt".

Diese Unzufriedenheit ist aber nur möglich, weil "Die Wand" so intensiv geschrieben ist, dass man sich mit den Figuren identifiziert und ihnen nur gutes will. Und das ist ein Zeichen für ein fantastisches Buch.

Ein wenig ärgern tue ich mich aufgrund der unglaublich stumpfsinnigen Deutungen, welche ich bei Wikipedia lesen musste. Da wird von einem Buch gegen das "Patriarchat" geschrieben, von "radikaler Zivilisationskritik" und "Robinsonaden". Man muss sich echt wundern, warum alles zu Tode interpretiert werden muss. Reicht es nicht, dass hier jemand ein Buch geschrieben hat, welches eine Heldin (und tierische Helden) besitzt, welche man sympathisch findet und mit der/denen man mitfiebert?    

Dienstag, 27. November 2012

Christian Kracht - 1979

Hm, was war das jetzt? Das Buch lässt einen nach dem Zuklappen erstmal ratlos zurück. Die Intention des Herrn Kracht bleibt dem geneigten Ex-Leser verschlossen. Auch noch nach einigem Drübernachdenken und Wirkenlassen. Aber als offener Weltbürger, welcher (Teile der) moderne(n) Kunst gerade wegen ihres Die-Wahrheit-liegt-im-Auge-des-Betrachters-Credos schätzt, ist das erstmal nicht weiter schlimm. Die Frage ist also, welche Intention sehe ICH in diesem Werk? Gar nicht so einfach, dies auszudrücken. Fangen wir doch erstmal bei der Handlung an.

Ein Stein. Aha. Reduktion allerorten.
(Quelle)
Der Ich-Erzähler reist mit seinem Lebensgefährten Christopher 1979 am Vorabend der Islamischen Revolution nach Teheran. Dort nehmen die beiden noch ganz dandy-like alle bourgeoisen Späße und Vergnügungen wie Partys, Zerstörungswut, Drogen und drogeninduzierte Über-die-Welt-Gespräche mit. Christopher, dessen Status in der Beziehung (jetzt mal politisch unkorrekt ausgedrückt) der Mann ist, ist schon vorher krank und schwach. Außerdem verachtet er den Erzähler eigentlich nur noch. Dieser wiederum fügt sich in sein Schicksal. In seinem benebelten Nihilismus verletzt sich Christopher schwer während der Party. Er wird ins Krankenhaus gebracht und verstirbt dort. Der Erzähler rettet sich in seiner unterdrückten Trauer und den Wirren der beginnenden Revolution zu einer mysteriöse Bekanntschaft einer Party. Auch diese ist allerdings absolut von der Welt entrückt und erzählt dem Erzähler von einem Berg in China, um den er wandern müsse, um zur vollständigen Erleuchtung zu gelangen. Die Hauptfigur folgt wieder einmal diesem Rat und im zweiten Teil des Buches geht es um diese Unternehmung. Während dieser trifft er tibetische Mönche, welche das gleiche Vorhaben besitzen und fühlt sich in ihrer ego-losen Gemeinschaft wohler als je zuvor. Dann jedoch wird er von chinesischen Soldaten gefangen genommen und in ein Arbeitslager verfrachtet. Er wird schmerzhaft umerzogen. Aufgrund einer guter Prognose für ihn wird er zu leichteren Arbeiten auf ein Feld mitten in der chinesischen Wüste geschickt. Auch dort sind die Arbeiten allerdings unmenschlich hart. Der Erzähler aber arrangiert sich mit diesen Arbeiten und tut, was man ihm sagt. Das Ende deutet an, was man sich schon lange dachte: Er ist zufrieden mit dieser Situation.

Aufgrund dieser Zusammenfassung sollte klar sein, worin der rote Faden des Buches aus meiner Sicht besteht. Ja, es geht um die "Selbstaufgabe" und "Selbstauslöschung" (wie es auf dem Buchrücken steht). Aber ist das nicht zu kurz gegriffen? So, wie die Beziehung der beiden am Anfang beschrieben wird, hatte der Erzähler schon vorher viel Energie darauf verwandt, sein Ego klein zu halten. Die Auslöschung passierte nicht aufgrund der Erlebnisse im Buch, sondern ist ein Bestandteil der Persönlichkeit des Erzählers. Alles, was im Buch geschieht, ist im Prinzip eine hochdramatische (übertriebene?) Zuspitzung dieses Charakterzuges. Man kann das nun langweilig finden, denn das bedeutet, dass die Handlung eigentlich gar nicht wichtig bzw. austauschbar ist. Das ist absolut richtig. Doch dann kommen ja noch die Fähigkeiten des Autors ins Spiel.

     Why so serious? Ach stimmt, ist ja 'n seriöser Schrifsteller.    
(Quelle)
Kracht schreibt hauptsächlich äußerst karg in kurzen Sätzen und wenig Details. Wenn er diese einstreut, dann rein der Atmosphäre wegen. Und so sollte es auch sein. Sehr gelungen ist die chamäleonhafte Wandlung des Erzählstils des Erzählers. Redet er am Anfang noch ziemlich klischeebehaftet über seine Gefühle und seine Beobachtungen der Innenarchitektur der teuren Villa des Partygebers (er ist Raumausstatter und seine zur Schau gestellte Expertise nervt), so ändert sich der Stil im Mittelteil (am Berg) zu spirituell und am Ende (im Lager) zu absolut neutral und teilnahmslos. In jeder Lage vermag es Kracht, mit seiner Erzählweise eine dichte Atmosphäre zu erzeugen. Und das - wie gesagt - ohne Detailreiterei.

Abschließend sei noch anzumerken, dass der Knackpunkt für mich ist, dass dieses Werk sehr kurz ist und eigentlich nicht mehr als eine atmosphärische Übung darstellt. Die Frage ist: Besitzt es in seiner Reduktion auf die Beschreibung eines Charakterzuges Tiefgang? Denn viel mehr, aber auch nicht viel weniger, hat es ja nicht zu bieten.