Mittwoch, 21. März 2012

Georges Simenon - Der Mann, der den Zügen nachsah


Kees Popinga, niederländischer Prokurist, stets besonnen und intelligent, bemerkt, dass bei einem Auftrag seiner Reederei irgendwas schief läuft. Verantwortungsbewusst sondiert er auch spät abends noch vor Ort die Lage, wird aber nicht schlau daraus. Auf dem Heimweg sieht er seinen Chef in einer heruntergekommenen Spelunke, welche sich normalerweise für Leute wie ihn und seinen Vorgesetzten nicht unbedingt ziemt. Dieser, etwas angetrunken, steckt ihm, dass er aufgrund einiger krummer Geschäfte mit dem Firmenvermögen fliehen wird.

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Geschockt geht Kees nach Hause. Also in die Richtung seines immer wieder gleich verlaufenden Alltags. Er merkt, dass sein Leben eigentlich langweilig ist. Am nächsten Morgen ist klar, dass der Plan seines Chefs funktioniert hat. Dieser Morgen ist auch der Zeitpunkt, an dem wiederum Kees gewahr wird, dass er so nicht weiter machen will.

Schon immer erfüllte ihn das Vorbeizuckeln der Nachtzüge in seiner Heimatstadt mit Fernweh und Neugier. Was sind das für Menschen, deren Silhouetten er auf erleuchtetem Hintergrund sieht? Haben diese nicht ein viel interessanteres Leben als er mit seiner distanzierten Frau ("Mutti"), den gut erzogenen Kindern und der perfekt eingerichteten Villa?

Er entschließt sich, einmal in seinem Leben das zu machen, auf was er Lust hat. Das zu tun, was gesellschaftlich geächtet ist, aber doch jeder insgeheim.

Ihm unterläuft ein Mord. Direkt als erstes auf seinem Weg in die Freiheit. Dies beunruhigt ihn nicht, er weiß ja, dass er es nicht so wollte und so nimmt er ohne viel Hektik den Zug nach Paris. In Paris angekommen, ohne Gepäck und mit viel Geld (welches ihm sein Chef zum Abschied gab), führt er sein von gesellschaftlichen Zwängen ungebundenes Wunschleben fort, muss sich aber immer wieder die ihn verfolgende französische Polizei vom Hals halten.

Kees wähnt sich auf moralischer als auch auf gedanklicher Ebene im Vorteil, fühlt sich aber von der Presse, welche über den Fall berichtet und den ermittelnden Kommissar, den er nicht kennt, sondern nur aus der Zeitung von ihm erfährt, trotz seiner gelungenen Schachzüge in diesem Versteckspiel nicht ausreichend gewürdigt. Wie soll er so sein neues, freies Leben genießen?

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Ein zeitloser Midlife-Crisis-Roman von Georges Simenon, welcher sehr schnörkellos geschrieben ist und die Geschichte aus Kees' Sicht berichtet. Über ihn wird manchmal ein wenig spöttisch, aber gleichzeitig liebevoll berichtet. Kees ist aber auf jeden Fall ein Charakter, den man mögen muss, denn er will einfach nur nicht vor Langeweile verrotten.

Er will sich vom Leben treiben lassen und will Anerkennung aufgrund seiner Person, nicht aufgrund erbrachter familiärer, materieller oder beruflicher Leistungen. Allerdings ist nicht klar: Ist das überhaupt möglich? Oder nur für skrupellose Personen? Muss man dazu vielleicht geboren sein?    

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